Medien

Fundstück aus wilden Zeiten: Ein Portrait von Res Strehle (2001)

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Ich hatte wohl das Vergnügen, bei der letzten Kapitalismus-Lesegruppe dabei zu sein, die Res Strehle irgendwann Ende der 90er anleitete. Wir hatten ihn angefragt, weil einem Mitglied unserer Polit-Gruppe an der Uni Zürich zufällig sein Buch «Kapital und Krise: Einführung in die politische Ökonomie» in die Hände gefallen war.

Als ich ein paar Jahre später einen Journalismus-Kurs besuchte und ein Portrait schreiben musste, wusste ich sofort, über wen ich gerne schreiben möchte. Strehle hat sofort zugesagt und mir bei einem Kaffee zwei Stunden aus seinem Leben erzählt. Kurz zuvor war er Chefredaktor des Tagesanzeiger-Magazins geworden. Das Portait erschien irgendwann 2001 in der «Zürcher Studentin» (ZS).


Res Strehle, Chefredaktor
«Das Magazin»

Für den helvetischen Kuschelzoo und die handzahme Cervelatprominenz hat sich Res Strehle nie interessiert. Anders hält er es mit den einheimischen Finanzhaien und Baulöwen. Seit über zwanzig Jahren ist er auf der Pirsch. Ob Christoph Blocher, Martin Ebner oder Stefan Schmidheiny, der Journalist Strehle hat schon einigen Raubtieren der wilden Marktwirtschaft aufgelauert.

Der Jäger gehört im Zeitalter des Hightech-Kapitalismus selbst zu einer vom Aussterben bedrohten Art. Als marxistisch geprägter Ökonom hat er einen langen Marsch durch die bürgerlichen Printmedien hinter sich und ist seit kurzem der neue stellvertretende Chefredaktor bei Das Magazin.

Vor rund zwanzig Jahren veröffentlicht Das Magazin die erste Reportage des jungen Journalisten Strehle. Er schreibt über den Fabrikalltag in den Emser Werken, die später als EMS Chemie den Grundstein für das Finanzimperium von Christoph Blocher legen sollten. Die moderne Kunststofffabrik inmitten der heilen Bündner Bergwelt entdeckt Strehle während einer Arbeitswoche in Chur. Sie faszinierte den achtzehnjährigen Gymnasiasten so sehr, dass er sich für ein Studium der Volkswirtschaft in entscheidet.

Das Studium im fernen St. Gallen erweist sich als eine gute Gelegenheit dem diskreten Charme der Bourgeoisie zu entkommen. «Ohne Eklat», wie Strehle betont, verabschiedet er sich vom Zürichberg. Mit seinem Vater, von Beruf Anwalt und Divisionsrichter, hatte er sich «politisch» zusehens schlechter verstanden. Dem väterlichen Moralkodex entzogen hätten sich auch gerne jene Militärdienstverweigerer, welche «Blitzrichter Strehle» persönlich hinter Gitter brachte.

Kaum in der Ostschweiz angekommen, holt der Vietnamkrieg den Junior ein. In der Aula der Universität wird ein Film über den amerikanischen Luftkrieg gezeigt. Im Saal sind jedoch nicht nur Pazifisten anwesend, sondern auch viele Mitglieder konservativer studentischer Verbindungen. Sie verwandeln die Vorführung in einen Fussballmatch: Jeder Bombenabwurf wird von ihnen mit Applaus und Bravo-Rufen gefeiert. Für den Erstsemesterstudenten Strehle ein Schlüsselereignis: «Zuhause war es nie nötig gewesen, sich für eine Seite zu entscheiden. In dieser Aula gab es keine neutrale Position. Entweder hast du mitgeklatscht oder du gehörtest zu den Kriegsgegnern.» Strehle applaudiert nicht, nimmt an einer Demonstration gegen den Vietnamkriegteil und gehört bald zum Kern der überschaubaren linken Szene in St. Gallen.

Ein Gedicht, das er in der Studentenzeitung veröffentlicht, ist das erste Zeichen seiner Politisierung. «Ich habe aber nie radikal mit der Gesellschaft gebrochen», sagt Strehle heute über sich selbst. Zugegeben, bei der linken Wochenzeitung pflegt er in den 80er Jahren einen schärferen Schreibstil. Er gehört zu einem Clan von jungen SchreiberInnen, die von Niklaus Meinenberg persönlich in die Kunst des «aufmüpfigen» Journalismus eingeführt werden. Doch zunächst gelten die regelmässigen Besuche des Mentors in der Wohngemeinschaft weniger dem Jungtalent Strehle, als seiner Mitbewohnerin.

Beim Meienberg lernt er das Texten und vor allem das «insinuieren» (lat. jmdm. etwas zutragen od. einflüstern). Leider schreibt man heute beim «Tagimagi» längst nicht mehr zwischen den Zeilen und Strehle muss sich mit dem «Subjektivismus-Kult» der Lifestylegeneration herumschlagen. Trotzdem tummelt er sich gerne auf der Spielwiese des Tagesanzeigers. «Das Magazin ist für mich eine alte Liebesbeziehung, die trotz der vielen Kehrtwendungen ihr Charisma behalten hat», sagt er mit einem Augenzwinkern.

Der Zick-Zack-Kurs gehört zu Strehles Leben. Der Mitbegründer der Wochenzeitung schrieb schon für fast alle schweizer Printmedien: Von der Sonntagszeitung über Facts bis zur Weltwoche. Nur der event-geile «Fastfood-Journalismus» liegt ihm nicht besonders. Strehle sitzt lieber am Schreibtisch und werkelt an einem Hintergrundartikel. «Viele Journalisten schreiben bevor sie etwas zu Ende gedacht haben», zitiert er Ulrike Meinhof, die ihn mit ihren Konkret-Kolumnen stets beeindruckt hat.

Selbstkritisch nimmt sich Strehle nicht von seiner Journalistenschelte aus, um im gleichen Atemzug über seine private Inflationspolitik gegen Modewörter zu sprechen. Seit Jahren führt er Listen mit abgegriffenen Füllwörtern. Marode, mutiert und multikulturell.  Strehle, der im Facts-Interview den polternden Christoph Blocher spielend in die Ecke stellt, ist gegen diese «IKEA-Sprachbausteine» einfach sehr empfindlich.

Daniel Graf, Zürcher Studentin 2001

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