Als Peter Metzinger mich als Speaker für den Campaign Summit Switzerland angefragt und um einen Themenvorschlag gebeten hatte, war meine spontane Antwort: «Lass mich über überzogene Erwartungen an Social Media reden». Der Zeitpunkt, das Potenzial für Kampagnen kritisch zu hinterfragen, schien mir günstig. Zwei Ereignisse des vergangenen Sommers hatten mich nachdenklich gemacht.
Zunächst waren da die Eiskübel, mit denen sich rund um den Globus Stars und Sternchen um die Wette duschten. Die «erfolgreichste Kampagne aller Zeiten» war ein weiterer Beleg dafür, dass Social Media nur mit den alten Massenmedien in die Gänge kommt. Auch ich hatte von der Mutprobe von Mark Zuckerberg nicht via Twitter erfahren, sondern zuerst in der Pendlerzeitung 20Minuten davon gelesen.
Ein weiterer «Downer» war für mich die unappetitliche Diskussion über die Selfie-Kultur von Bundeshaus-Sekretärinnen und bestimmten Politikern. Der «Small-Talk in Bildform», wie der Medienpädagoge Philippe Wampfler das Phänomen treffend beschrieb, war im letzten Sommer endgültig im Schweizer Medien-Mainstream angekommen. Ich selbst hatte in den Schnappschüssen stets viel und vor allem positives Potenzial gesehen, um Menschen in Kampagnen einzubinden und einen Kommunikationsstil auf Augenhöhe zu pflegen.
Dass die Erfolgsformel ihren Zenith überschritten hatte, wurde allerdings deutlich, als auch die letzte Autoversicherung glaubte, einen Selfie-Wettbewerb lancieren zu müssen. Man darf Facebook & Co. heute ja fast dankbar sein, dass solche Selfies in der allgemeinen Informationsflut meist sang und klanglos untergehen, ohne die gewünschten Wellen zu werfen. Die Bilder haben keine Durchschlagskraft auf unseren Alltag mehr. Das Publikum scrollt gelangweilt weiter, statt munter mitzuknipsen.
Damit stellt sich die Frage, ob Social Media-Kampagnen überhaupt noch unter die Haut gehen können. Hätte ich vor paar Monaten mit «eher nein, nächste Frage» geantwortet, so kommt mir heute eine Kampagne in den Sinn, die ich vor ein paar Wochen fasziniert live mitverfolgt habe. Die Rede ist von der Mitdir-Kampagne, die als «Lovestorm» auch in Deutschland für mediale Wirbel gesorgt hat. War das Konzept ursprünglich eine Reaktion auf das überraschende Ja zur Masseinwanderung-Initiative hat sich das Kollektivprojekt für «Fremdenfreundlichkeit» inzwischen zu einem Schweizer Exportschlager entwickelt.
Die Mitdir-Kampagne fällt auf und berührt. Im Zentrum stehen Menschen in binationalen Beziehungen, die in ehrlichen bis skurrilen Selfies Geschichten erzählen, wie sie nur das Leben schreiben kann. Die Bilder, geteilt via Facebook und Twitter, werfen einen frischen Blick auf unseren Alltag.
In meinem Referat am Campaign Summit Switzerland werde ich nachzeichnen, wie die Kampagne den Brückenschlag ins Offline geschafft hat. Damit und anhand weiterer Beispiele möchte ich diskutieren, wie es Kampagnen gelingt, Welten zu verbinden und den Billiard-Effekt auf Social Media zu nutzen.
Und last but not least: Wer im Netz neues ausprobiert und gegen den Strom schwimmt, wird immer Fehler machen. Auch darüber möchte ich gerne sprechen.
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