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Selfie, Sex und Politik: Anmerkungen zum «Fall Geri Müller»

Wer gehofft hat, im medialen Sommertheater sei nach dem Akt mit der «Porno-Sekretärin» der Schlussvorhang gefallen, sieht sich getäuscht. Mit dem «Fall» Geri Müller erhält die Serie eine Fortsetzung, die sich erneut um das potente Dreieck Selfie, Sex und Politik dreht. Die Hauptrolle spielt dieses Mal allerdings keine unbekannte Bundesbeamtin, sondern ein gewählter Volksvertreter.

Gewiss gibt es im Zusammenhang mit dem Polizeieinsatz Vorwürfe, die weit über die Selfies hinausgehen und die noch zu klären sein werden. Wer die bisherige Berichterstattung liest, stellt aber fest, dass in altbekannter Manier durchs Schlüsselloch gelinst wird, die Kommentatoren sich vor Empörung überschlagen und süffisante Schlagzeilen auch den letzten Leser so richtig scharf auf die Bildchen machen.

Mich stört dabei vor allem, dass beim ganzen Getöse der gelassene Blick auf die Selfie-Kultur aussen vor bleibt. Mehr noch: Statt die Gelegenheit zu nutzen und sich unaufgeregt einem Alltagsphänomen anzunähern, wird dem sensationslüsternen Publikum mit dem «Grüsel-Geri» in allseitiger medialer Erregung vorgeführt, welche ach so dekadenten Abgründe sich hinter der nur scheinbar harmlosen Schnappschuss-Welt auftun. Nicht von ungefähr kritisiert der Blogger Philippe Wampfler, dem ich den Entwurf zu diesem Blogtext gezeigt habe, Medien nutzten Geschichten wie diese oft nur als Vorwand, um «allgemeingültige» Vorstellungen und Bilder einer sexuellen Normalität zu propagieren, die so nicht existiert.

Sex und Medien haben eine lange, gemeinsame Geschichte, lautet doch eine der ältesten Binsenwahrheiten im Mediengeschäft «sex sells». Vermutlich hätte sich der «Fall Müller» kaum anders entwickelt, hätte der Betroffene einen Brief, ein Polaroid-Bild oder gar eine explizite Zeichnung von sich verschickt. Bemerkenswert bleibt jedoch der Zeitpunkt der beiden jüngst in den Medien verhandelten Nacktselfie-Patzer: Er zeigt, dass die Selfie-Kultur zu einem festen Bestandteil unseres Zusammenlebens geworden ist. Noch vor zwei Jahren hätte sich wohl höchstens eine Handvoll Leute gemeldet, wenn ich in einem Social Media-Kurs mit 30- bis 50-jährigen TeilnehmerInnen gefragt hätte, wer bereits ein Selfie von sich auf Social Media veröffentlicht hat. Heute dürfte es die Mehrheit sein.

Nicht nur Stars und Sternchen inszenieren sich täglich mit Ego-Schnappschüssen. Im Aargau ebenso, wie im Weissen Haus oder an der Leichtathletik-EM. Die Fans liken die «authentischen» Bildgeschichten und die Medien veröffentlichen die Fotos in Serie, auch wenn Selfies mittlerweile oft das Werk von PR-Profis sind. Und schliesslich verzichtet kaum eine Marketingkampagne auf einen Selfie-Wettbewerb, um «hochwertigen Brand-Content» zu erzeugen, den die Leute auch auf privaten Kanälen weiter verbreiten.

Die Selbstinszenierung im Netz ist Mainstream geworden und macht auch vor gesellschaftlichen Tabu-Zonen, wie beispielsweise Sex, nicht Halt. Ohne gerade einen wissenschaftliche Studie zur Hand zu haben, gehe ich davon aus, dass in der Schweiz und anderswo heute täglich Tausende von mehr oder weniger erotischen Selfies verschickt werden. Und zwar von überall her – aus dem Büro, aus dem Schlafzimmer oder von der Baustelle.

Zweifellos ein Alptraum bzw. gefundenes Fressen für selbsternannte mediale Sittenwächter, aber dennoch eine gesellschaftliche Realität und Bestandteil unserer Beziehungskommunikation. Wer die Selfie-Kultur «pervers» findet, darf das selbstverständlich offen sagen. Menschen wegen privater Smartphone-Bildchen öffentlich zu verurteilen, ist heuchlerisch und intolerant. Oder ein Zeichen dafür, dass die eigenen Moralvorstellungen der Zeit hinterherhinken.

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Hashtag-Kampagne «BringBackOurGirls»: Mein Interview auf Radio SRF3

Radio SRF 3 hat mich als Kampagnenexperten gefragt, inwiefern Tweets tatsächlich einen Beitrag zur Befreiung der entführten nigerianischen Mädchen leisten können.

Die drei Interview-Schnipsel auf Radio SRF3

Mehr zum Thema in meinem Blog «Retweet the story and your mind will follow».

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Quelle: www.foreignpolicy.com

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Der Social Media-Hype oder fünf gute Gründe, weshalb Unternehmen die Finger von Social Media lassen sollten.

In Sachen Social Media herrscht derzeit Goldgräberstimmung. Viele Unternehmen versprechen sich von Facebook & Co. Zugang zu neuen Zielgruppen – zu einem unschlagbaren Preis-Leistungsverhältnis.

Die Fachhochschule für Wirtschaft Zürich hat mich anlässlich der Fachmesse SOM14 als Gastreferent zum Thema Social Media eingeladen. In meinem Vortrag habe ich über die Risiken und Nebenwirkungen von Social Media gesprochen, die nicht auf der Verpackung stehen. Hier die Kurzfassung als Blogbeitrag.

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«Sind Sie auch auf Social Media?» lautet die allgegenwärtige, ziemlich irreführende Frage. Irreführend deshalb, weil der Fragesteller eigentlich wissen will, ob ich ein Facebook-Profil besitze. Und «Facebook» und «Social Media» heute von vielen Menschen gleichgesetzt werden. Die Zahlen sprechen für sich: In der Schweiz haben Anfang 2014 über 3.4 Millionen Menschen oder stolze 41 Prozent der Bevölkerung ein eigenes Facebook-Profil. Diese enorme Verbreitung wird nur von einem altbekannten Kanal übertroffen – nämlich dem Briefkasten an jeder Haustür.

1. E-Mail-Adressen sind mehr wert als Social Media-Kontakte

Auf die Unternehmenswelt bezogen lautet die Frage: Muss jedes Unternehmen auf Facebook präsent sein? Die Antwort darauf ist simpel: Nein. Ebensowenig, wie alle Firmen auf Massen-Postversände setzen, benötigen alle Unternehmen eine Facebook-Präsenz. Denn wie beim Streuwurf via Postbote, der eine Stange Geld kostet, ist auch bei Facebook zunächst eine differenzierte Kosten-Nutzenanalyse notwendig.

Wie ich weiter unten noch detaillierter ausführen werde, bin ich bei Zuckerbergs Marketingmaschine oft skeptisch, ob sich der Aufwand für Unternehmen wirklich lohnt. Etwas anders sieht das im Fall von Twitter aus. Der Microblog mit 140 Zeichen bietet einen USP, der für viele Firmen als Joker sticht: Twitter ermöglicht einen unkomplizierten Kontakt mit Multiplikatoren und Meinungsmachern, die im Newsstrom nach Perlen tauchen. Sehr wertvoll für die Medienarbeit sind beispielsweise die «Direct Messages» an Journalisten, um kurzfristig eine Story unterzubringen. Umgekehrt gilt jedoch auch, dass Unternehmen, die keine kontinuierliche PR- oder Medienarbeit betreiben, mit gutem Gewissen auch auf Twitter verzichten können.

Der Popularität von Social Media zum Trotz bleibt aber die harte Währung im Netz nicht die Anzahl Fans oder Follower, sondern die Zahl der eigenen E-Mail-Kontakte. Im Gegensatz zu den sexy Plattformen, die meine Botschaften nach – mehr oder weniger bekannten – Spielregeln filtern oder dank Werbung tatsächlich anzeigen, landet ein E-Mail stets direkt im persönlichen Briefkasten des Adressaten – und dies bei Zehntausenden von Menschen gleichzeitig. Für Kampagnen, die auf einen crossmedialen Wahrnehmungs-Peak abzielen, erfüllen E-Mails damit eine wichtige Zielvorgabe.

2. Das Lockvogel-Prinzip

Social Media sind heimtückisch. Und zwar deshalb, weil alle Plattformen nach dem Lockvogel-Prinzip arbeiten. Konsumenten kennen dieses Prinzip mittlerweile bestens: Wer beispielsweise einen preiswerten Drucker kauft, weiss, dass die Preisangabe auf der Packung nur die halbe Wahrheit ist. Denn Geld wird mit den teuren Druckerpatronen verdient. Auch Facebook & Co. arbeiten nach dem Lockvogel-Prinzip, gehen dabei aber noch einen Schritt weiter: Der Start in die schöne Social Media-Welt ist gratis.

Ist jedoch die neue Facebook-Fanpage einmal eingerichtet, wird rasch der Griff ins Portemonnaie notwendig. Oft sorgen erst Facebook-Ads für die gewünschte Interaktion und gewährleisten, dass tatsächlich neue Zielgruppen erreicht werden. Das Problem liegt hier auf der Hand: Die Zahl von Menschen und Marken, die auf Facebook präsent sind, steigt stetig, womit auch die Konkurrenz um die Aufmerksamkeit zunimmt. Gemäss Facebook stehen heute für einen durchschnittlichen Nutzer theoretisch täglich über 1’500 Meldungen bereit.

Die für bezahlte Werbung anfallenden Kosten sind jedoch geradezu Peanuts im Vergleich zum Aufwand, den ein Unternehmen betreiben muss, um gute Inhalte zu generieren. Aus Spargründen wird deshalb oft Bestehendes rezykliert, statt Neues produziert. Statt spezifischem Social Media-Content stellen Firmen beispielsweise oft bereits vorhandenes Material – etwa aus Medienmitteilungen oder anderen Veröffentlichungen – auf die neuen Kanäle. Derart rezyklierte Inhalte sorgen selten wirklich für Begeisterung, was sich unmittelbar auf die Anzahl «Likes» auswirkt.

Bevor sich ein Unternehmen auf Social Media stürzt, sollten sich die Verantwortlichen fragen, ob die Bereitschaft vorhanden ist, aktuelle und gut konsumierbare Webinhalte mit hohem Mehrwert zu produzieren. Oder konkreter: Ob ein Firmen-Blog eine Option ist. Denn Unternehmen, die weder Zeit noch Geld für die Produktion von Blog-Inhalten aufwenden wollen, verfügen in den wenigsten Fällen über passende Inhalte für Social Media. Und spezifisch für’s Web konzipierte Beiträge sind nach wie vor das A und O, um auf diesen Kanälen Reichweite zu erzielen.

3. Social Media funktionieren nicht wie ein Popkonzert

«Wir bauen uns eine eigene Community!» lautet ein oft gehörtes Vorhaben von Social Media-Verantwortlichen von Unternehmen. Ein attraktives Konzept, denn tatsächlich gibt es auf Facebook viele grosse, lebendige, bunte Gemeinschaften. Doch abgesehen von einigen, vielzitierten Ausnahmefällen sind alle erfolgreichen Communities ohne Geburtshilfe von Unternehmen entstanden. Der Aufbau einer funktionierenden Community ist ein nicht ganz einfaches Unterfangen. Es lauert die Gefahr einer Wiederholung der immer gleichen Themenvariationen. Ich mag zwar SBB, Migros und viele andere Marken. Ihre Facebook-Posts sind jedoch nicht viel mehr als unnötiger Füllstoff in meiner Timeline, dem ich selten Beachtung schenke.

Ein typischer Fehler vieler Unternehmen ist, dass sie Facebook als eine Art Popkonzert begreifen: Oben auf der Bühne rockt der Community Manager und unten klatscht das Publikum – zumindest ab und zu. Ein fataler Irrtum, leben doch engagierte Gemeinschaften von einem regen gegenseitigen Austausch. Eine Bühne trennt in diesem Fall mehr, als dass sie Beziehungen schafft.

Unternehmen sollten sich deshalb die Frage stellen, ob sie wirklich nicht mehr von ihren Fans und Followers wollen, als ein kleines bisschen Aufmerksamkeit. Ob es beispielsweise denkbar wäre, dass die Community einen Beitrag leistet, um Produkte und Dienstleistungen zu verbessern und weiterzuentwickeln. Wer der Community keine aktive Rolle zugesteht und sich nur brave Multiplikatoren wünscht, wird die Leute längerfristig nur mit viel Show und Lärm bei der Stange halten können. Kein besonders nachhaltiges Konzept, das zudem das Potenzial von Social Media bei weitem nicht abschöpft.

4. Offene Kritik ist selten erwünscht

Spätesten seit der Begriff «Shitstorm» die Runde gemacht hat, ist klar, dass es sich mit dem Dialog auf Social Media verhält, wie mit einem wilden Kindergeburtstag – eben noch friedlich kann er unvermittelt aus dem Ruder laufen. «Dialog» meint immer auch «offenen Meinungsaustausch»; in Bezug auf Social Media geht allerdings gerne vergessen, dass der Austausch hier nicht nur «offen», sondern automatisch auch «öffentlich» ist.

Die neue Transparenz ist vielen Unternehmen unangenehm, weil insbesondere die Verantwortlichen in den oberen Etagen oft nicht so recht wissen, wie mit kritischen Rückmeldungen umzugehen ist. Ein Dutzend negativer Kommentare auf Facebook können schnell einmal zu einem Traktandum an der nächsten GL-Sitzung werden. Die Diskussion dreht sich dabei oft nicht um den Inhalt der Kritik, sondern um die Frage, wie dem «drohenden Reputationsschaden» zu begegnen ist. Und wenn die Teppichetage nicht mit öffentlicher Kritik umgehen kann, ist die Chance gross, dass Facebook den Chefs und damit wohl auch dem Kommunikations-Team regelmässig den Tag vermiesen wird.

5. Social Media ändern die Spielregeln

Je länger ich mich mit Social Media befasse, desto unbedeutender scheinen mir die Herausforderungen technischer und inhaltlicher Art. Viel schwerwiegender ist für mich der kulturelle Wandel, den die neuen Kanäle mit sich bringen.

Social Media stehen für mich für eine direktere Kommunikation mit weniger Barrieren und Hierarchien. Die Kanäle vernetzen zudem eine wachsende Zahl von Menschen, die sich oftmals physisch noch nie begegnet sind. Wenn sich dadurch etablierte Grenzen verschieben – in Bezug auf Unternehmen etwa die Grenzen dessen, was als «intern» und was als «extern» gilt – ändern sich rasch die Spielregeln der Zusammenarbeit in einem Betrieb.

Das Ausprobieren der neuen Möglichkeiten von Social Media beeinträchtigt bis zu einem gewissen Grad das gefestigte Gefüge in einem Unternehmen. Dies macht – nicht nur in der Kommunikationsabteilung, sondern auch in anderen Unternehmensbereichen – Anpassungsleistungen mit entsprechenden Kosten notwendig. Ein wichtiger Faktor ist dabei weniger das Geld, sondern die Unsicherheit, die mit jedem Wandel einhergeht: Was wird sich in Zukunft gezwungenermassen alles ändern? Was bleibt gleich? Und was heisst das für meine Arbeit?

Die Social Media-Welle rollt und wird früher oder später jedes Unternehmen erreichen. Trotzdem macht es für die Verantwortlichen durchaus Sinn, sich zu fragen, ob aktuell Zeit und Ressourcen vorhanden sind, um sich auf tiefgreifende Veränderungen einzulassen. Denn es ist trotz aktuellem Hype keineswegs so, dass jedes Unternehmen möglichst rasch eine eigene Social Media-Präsenz braucht. Für viele Unternehmen besteht hier durchaus noch ein Spielraum von ein paar Monaten, wenn nicht gar von ein paar Jahren. Oder wie es ein Bekannter von mir letztens formuliert hat: «Eine Strategie zu haben, heisst, zum richtigen Zeitpunkt nein zu sagen». Dies gilt – wie mir scheint – ganz besonders auch für die Teilnahme am aktuellen Social Media-Hype.

Danke an Joel Bisang fürs Feedback zum Blog.

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Clickjacking: Deine Webcam gehört mir!

Wer durch einen vollen SBB-Pendler-Zug oder die Zentralbibliothek schlendert, sieht es oft: Ein Post-it oder ein Kleber verdeckt die Laptop-Webcam. Besonders Frauen haben einen guten Grund: Im Netz gibt es zahlreiche belegte Fälle, in denen Angreifer die Kontrolle über fremde Webcams übernommen haben. Es reicht ein unachtsamer Klick.

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Wie sogenanntes «Clickjacking» mit der Webcam funktioniert, demonstrierte eindrücklich der Sicherheitsberater Egor Hogmakov. Wer auf ein Bild von leicht bekleideten Girls klickt, erhält als Quittung wenige Sekunden später ein Foto, das heimlich mit der eigenen Webcam aufgenommen wurde.

slideStatt ein Post-It über die Webcam zu kleben, gibt es jetzt eine praktischere Methode, die eigene Privatsphäre vor Blicken zu schützen. Mit der magnetische Folie «Pirate», die mein Freund Thomas entwickelt hat, lässt sich eine Webcam 100% verschliessen, wenn sie nicht gebraucht wird.

Mit einer simplen Fingerbewegung ist man im Nu wieder online. «Pirate» in verschiedenen Designs passt perfekt aufs Macbook Air (11“/13“). Weitere Modelle sind in Planung.

Gespannt auf euer Feedback!

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www.webcam-pirate.com

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Wir Hacker-Kids von der Bahnhofstrasse

Hacker sind ja irgendwie die Super-Helden des Internets. Besonders wenn sie so smart sind wie Jacob Appelbaum. War toll, ihn in Berlin live an der Re:publica 2012 zu erleben.

Ich habe es nie soweit gebracht. Der Anfang klang aber viel versprechend: Ich war mit 14 Jahren Mitglied einer Hacker-Gang, zumindest einen Sommer lang. Angefangen hat es damit, dass ich jeden Mittwochnachmittag im Bermuda-Dreieck Jemoli-Globus-Vilan an der Zürcher Bahnhofstrasse unterwegs war.

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Mein Revier waren die Computer-Abteilungen der grossen Einkaufshäuser. Dort trafen sich picklige Jungs, um heimlich Software zu dealen. Und ich war süchtig, richtig süchtig. Denn mein Atari ST 520 brauchte Futter.

Die Verkäufer der Computer-Abteilung kannten uns. Und wir kannten sie. Sobald sich eine Schlange vor der Kasse gebildet hatte, schlugen wir zu: Schnell eine 3.5 Zoll-Diskette reinschieben, Kopierprogramm laden und hoffen, dass der Verkäufer so lange beschäftigt ist, bis das Game kopiert ist.

Im Jemoli lernte ich auch die ersten Nerds kennen. Die hatten nicht nur coole Software, sondern konnten auch programmieren. Irgendwann im Sommer beschlossen wir, eine Hacker-Gruppe zu gründen. Unsere Gang nannte sich, wenn ich mich recht erinnere, «TDA». Unsere Mission war es, den Kopierschutz von neuen Games möglichst schnell zu knacken, das Ganze mit einem «Intro» zu versehen und in der Community weiter zu verbreiten.

Das Intro hatten wir schnell gebastelt.Nur das Cracken klappte nicht so flott. Das einzige Game, dass meine Gang selbst knackte, war das beliebte Rennspiel «Out run». Leider waren wir vermutlich die Letzten auf dem Planeten und so hielt sich unser Ruhm in engen Grenzen: in den Computer-Abteilungen von Jemoli-Globus-Vilan.

Ich würde echt viel dafür geben, nochmals unser Intro zu sehen. Mein Pseudonym in der Gang war «Murray». Denn im TV lief damals  die US-Serie «Ein Trio mit vier Fäusten» (Riptide 1984–1986). Murray Bozinsky hiess der verschrobene Computer-Freak, der ganz schön clever war und einen schicken Roboter mit Namen «Roboz» hatte.

Irgendwann war der Sommer vorbei und ich kaufte mir einen Commodore Amiga 500. Bessere Grafik, Sound und so. Meine Games bezog ich von einem Dealer aus Deutschland: ganz bequem per Post. Meine Hacker-Gang blieb dem Atari treu und so trennten sich unsere Wege. Keine Ahnung, was aus ihnen geworden ist.

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