In Sachen Social Media herrscht derzeit Goldgräberstimmung. Viele Unternehmen versprechen sich von Facebook & Co. Zugang zu neuen Zielgruppen – zu einem unschlagbaren Preis-Leistungsverhältnis.
Die Fachhochschule für Wirtschaft Zürich hat mich anlässlich der Fachmesse SOM14 als Gastreferent zum Thema Social Media eingeladen. In meinem Vortrag habe ich über die Risiken und Nebenwirkungen von Social Media gesprochen, die nicht auf der Verpackung stehen. Hier die Kurzfassung als Blogbeitrag.
«Sind Sie auch auf Social Media?» lautet die allgegenwärtige, ziemlich irreführende Frage. Irreführend deshalb, weil der Fragesteller eigentlich wissen will, ob ich ein Facebook-Profil besitze. Und «Facebook» und «Social Media» heute von vielen Menschen gleichgesetzt werden. Die Zahlen sprechen für sich: In der Schweiz haben Anfang 2014 über 3.4 Millionen Menschen oder stolze 41 Prozent der Bevölkerung ein eigenes Facebook-Profil. Diese enorme Verbreitung wird nur von einem altbekannten Kanal übertroffen – nämlich dem Briefkasten an jeder Haustür.
1. E-Mail-Adressen sind mehr wert als Social Media-Kontakte
Auf die Unternehmenswelt bezogen lautet die Frage: Muss jedes Unternehmen auf Facebook präsent sein? Die Antwort darauf ist simpel: Nein. Ebensowenig, wie alle Firmen auf Massen-Postversände setzen, benötigen alle Unternehmen eine Facebook-Präsenz. Denn wie beim Streuwurf via Postbote, der eine Stange Geld kostet, ist auch bei Facebook zunächst eine differenzierte Kosten-Nutzenanalyse notwendig.
Wie ich weiter unten noch detaillierter ausführen werde, bin ich bei Zuckerbergs Marketingmaschine oft skeptisch, ob sich der Aufwand für Unternehmen wirklich lohnt. Etwas anders sieht das im Fall von Twitter aus. Der Microblog mit 140 Zeichen bietet einen USP, der für viele Firmen als Joker sticht: Twitter ermöglicht einen unkomplizierten Kontakt mit Multiplikatoren und Meinungsmachern, die im Newsstrom nach Perlen tauchen. Sehr wertvoll für die Medienarbeit sind beispielsweise die «Direct Messages» an Journalisten, um kurzfristig eine Story unterzubringen. Umgekehrt gilt jedoch auch, dass Unternehmen, die keine kontinuierliche PR- oder Medienarbeit betreiben, mit gutem Gewissen auch auf Twitter verzichten können.
Der Popularität von Social Media zum Trotz bleibt aber die harte Währung im Netz nicht die Anzahl Fans oder Follower, sondern die Zahl der eigenen E-Mail-Kontakte. Im Gegensatz zu den sexy Plattformen, die meine Botschaften nach – mehr oder weniger bekannten – Spielregeln filtern oder dank Werbung tatsächlich anzeigen, landet ein E-Mail stets direkt im persönlichen Briefkasten des Adressaten – und dies bei Zehntausenden von Menschen gleichzeitig. Für Kampagnen, die auf einen crossmedialen Wahrnehmungs-Peak abzielen, erfüllen E-Mails damit eine wichtige Zielvorgabe.
2. Das Lockvogel-Prinzip
Social Media sind heimtückisch. Und zwar deshalb, weil alle Plattformen nach dem Lockvogel-Prinzip arbeiten. Konsumenten kennen dieses Prinzip mittlerweile bestens: Wer beispielsweise einen preiswerten Drucker kauft, weiss, dass die Preisangabe auf der Packung nur die halbe Wahrheit ist. Denn Geld wird mit den teuren Druckerpatronen verdient. Auch Facebook & Co. arbeiten nach dem Lockvogel-Prinzip, gehen dabei aber noch einen Schritt weiter: Der Start in die schöne Social Media-Welt ist gratis.
Ist jedoch die neue Facebook-Fanpage einmal eingerichtet, wird rasch der Griff ins Portemonnaie notwendig. Oft sorgen erst Facebook-Ads für die gewünschte Interaktion und gewährleisten, dass tatsächlich neue Zielgruppen erreicht werden. Das Problem liegt hier auf der Hand: Die Zahl von Menschen und Marken, die auf Facebook präsent sind, steigt stetig, womit auch die Konkurrenz um die Aufmerksamkeit zunimmt. Gemäss Facebook stehen heute für einen durchschnittlichen Nutzer theoretisch täglich über 1’500 Meldungen bereit.
Die für bezahlte Werbung anfallenden Kosten sind jedoch geradezu Peanuts im Vergleich zum Aufwand, den ein Unternehmen betreiben muss, um gute Inhalte zu generieren. Aus Spargründen wird deshalb oft Bestehendes rezykliert, statt Neues produziert. Statt spezifischem Social Media-Content stellen Firmen beispielsweise oft bereits vorhandenes Material – etwa aus Medienmitteilungen oder anderen Veröffentlichungen – auf die neuen Kanäle. Derart rezyklierte Inhalte sorgen selten wirklich für Begeisterung, was sich unmittelbar auf die Anzahl «Likes» auswirkt.
Bevor sich ein Unternehmen auf Social Media stürzt, sollten sich die Verantwortlichen fragen, ob die Bereitschaft vorhanden ist, aktuelle und gut konsumierbare Webinhalte mit hohem Mehrwert zu produzieren. Oder konkreter: Ob ein Firmen-Blog eine Option ist. Denn Unternehmen, die weder Zeit noch Geld für die Produktion von Blog-Inhalten aufwenden wollen, verfügen in den wenigsten Fällen über passende Inhalte für Social Media. Und spezifisch für’s Web konzipierte Beiträge sind nach wie vor das A und O, um auf diesen Kanälen Reichweite zu erzielen.
3. Social Media funktionieren nicht wie ein Popkonzert
«Wir bauen uns eine eigene Community!» lautet ein oft gehörtes Vorhaben von Social Media-Verantwortlichen von Unternehmen. Ein attraktives Konzept, denn tatsächlich gibt es auf Facebook viele grosse, lebendige, bunte Gemeinschaften. Doch abgesehen von einigen, vielzitierten Ausnahmefällen sind alle erfolgreichen Communities ohne Geburtshilfe von Unternehmen entstanden. Der Aufbau einer funktionierenden Community ist ein nicht ganz einfaches Unterfangen. Es lauert die Gefahr einer Wiederholung der immer gleichen Themenvariationen. Ich mag zwar SBB, Migros und viele andere Marken. Ihre Facebook-Posts sind jedoch nicht viel mehr als unnötiger Füllstoff in meiner Timeline, dem ich selten Beachtung schenke.
Ein typischer Fehler vieler Unternehmen ist, dass sie Facebook als eine Art Popkonzert begreifen: Oben auf der Bühne rockt der Community Manager und unten klatscht das Publikum – zumindest ab und zu. Ein fataler Irrtum, leben doch engagierte Gemeinschaften von einem regen gegenseitigen Austausch. Eine Bühne trennt in diesem Fall mehr, als dass sie Beziehungen schafft.
Unternehmen sollten sich deshalb die Frage stellen, ob sie wirklich nicht mehr von ihren Fans und Followers wollen, als ein kleines bisschen Aufmerksamkeit. Ob es beispielsweise denkbar wäre, dass die Community einen Beitrag leistet, um Produkte und Dienstleistungen zu verbessern und weiterzuentwickeln. Wer der Community keine aktive Rolle zugesteht und sich nur brave Multiplikatoren wünscht, wird die Leute längerfristig nur mit viel Show und Lärm bei der Stange halten können. Kein besonders nachhaltiges Konzept, das zudem das Potenzial von Social Media bei weitem nicht abschöpft.
4. Offene Kritik ist selten erwünscht
Spätesten seit der Begriff «Shitstorm» die Runde gemacht hat, ist klar, dass es sich mit dem Dialog auf Social Media verhält, wie mit einem wilden Kindergeburtstag – eben noch friedlich kann er unvermittelt aus dem Ruder laufen. «Dialog» meint immer auch «offenen Meinungsaustausch»; in Bezug auf Social Media geht allerdings gerne vergessen, dass der Austausch hier nicht nur «offen», sondern automatisch auch «öffentlich» ist.
Die neue Transparenz ist vielen Unternehmen unangenehm, weil insbesondere die Verantwortlichen in den oberen Etagen oft nicht so recht wissen, wie mit kritischen Rückmeldungen umzugehen ist. Ein Dutzend negativer Kommentare auf Facebook können schnell einmal zu einem Traktandum an der nächsten GL-Sitzung werden. Die Diskussion dreht sich dabei oft nicht um den Inhalt der Kritik, sondern um die Frage, wie dem «drohenden Reputationsschaden» zu begegnen ist. Und wenn die Teppichetage nicht mit öffentlicher Kritik umgehen kann, ist die Chance gross, dass Facebook den Chefs und damit wohl auch dem Kommunikations-Team regelmässig den Tag vermiesen wird.
5. Social Media ändern die Spielregeln
Je länger ich mich mit Social Media befasse, desto unbedeutender scheinen mir die Herausforderungen technischer und inhaltlicher Art. Viel schwerwiegender ist für mich der kulturelle Wandel, den die neuen Kanäle mit sich bringen.
Social Media stehen für mich für eine direktere Kommunikation mit weniger Barrieren und Hierarchien. Die Kanäle vernetzen zudem eine wachsende Zahl von Menschen, die sich oftmals physisch noch nie begegnet sind. Wenn sich dadurch etablierte Grenzen verschieben – in Bezug auf Unternehmen etwa die Grenzen dessen, was als «intern» und was als «extern» gilt – ändern sich rasch die Spielregeln der Zusammenarbeit in einem Betrieb.
Das Ausprobieren der neuen Möglichkeiten von Social Media beeinträchtigt bis zu einem gewissen Grad das gefestigte Gefüge in einem Unternehmen. Dies macht – nicht nur in der Kommunikationsabteilung, sondern auch in anderen Unternehmensbereichen – Anpassungsleistungen mit entsprechenden Kosten notwendig. Ein wichtiger Faktor ist dabei weniger das Geld, sondern die Unsicherheit, die mit jedem Wandel einhergeht: Was wird sich in Zukunft gezwungenermassen alles ändern? Was bleibt gleich? Und was heisst das für meine Arbeit?
Die Social Media-Welle rollt und wird früher oder später jedes Unternehmen erreichen. Trotzdem macht es für die Verantwortlichen durchaus Sinn, sich zu fragen, ob aktuell Zeit und Ressourcen vorhanden sind, um sich auf tiefgreifende Veränderungen einzulassen. Denn es ist trotz aktuellem Hype keineswegs so, dass jedes Unternehmen möglichst rasch eine eigene Social Media-Präsenz braucht. Für viele Unternehmen besteht hier durchaus noch ein Spielraum von ein paar Monaten, wenn nicht gar von ein paar Jahren. Oder wie es ein Bekannter von mir letztens formuliert hat: «Eine Strategie zu haben, heisst, zum richtigen Zeitpunkt nein zu sagen». Dies gilt – wie mir scheint – ganz besonders auch für die Teilnahme am aktuellen Social Media-Hype.
Danke an Joel Bisang fürs Feedback zum Blog.
Ich denke, ein wichtiger Faktor ist die Social-Media-Präsenz von Angestellten und Kunden. Unternehmen sind in jedem Fall auf Social Media präsent und die Reichweite der inoffiziellen Präsenz ist meist größer als die der offiziellen. Eine erfolgreiche Strategie könnte es meiner Ansicht nach sein, alle am Unternehmen Beteiligten zu bitten, ihre Erfahrungen im Umgang mit dem Unternehmen auf sozialen Netzwerken zu teilen – und dann gut zuzuhören, nachzufragen und Verbesserungen vorzunehmen. Automatisch wird auch Lob geteilt – und zwar in den Netzwerken, die sich Menschen bereits geschaffen haben, nicht in künstlich gekauften.
Hast du ja recht. Aber weit mehr als vor einem Shitstorm fürchten sich Unternehmen vor den eigenen Mitarbeitenden auf Social Media, obwohl diese die authentischsten Multiplikatoren wären und vor allem viel lebendiger als eine öde Firmen-Fan-Page.
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