Es hätte eine kleine Medien-Bombe sein können: Die Schweizer Nüssli Gruppe baut für den Eurovision Song Contest die prestigträchtige „Baku Crystal Hall“ auf den Trümmern von Wohnhäusern, deren BewohnerInnen zuvor zwangsgeräumt worden sind.
Die Frankfurter Allgemeine (FAZ) schrieb bereits im Februar 2012 ausführlich über gravierende Menschenrechtsverletzungen, die im direkten Zusammenhang mit den Bauarbeiten der „Baku Crystal Hall“ standen. Die Quelle waren lokale Journalisten in Aserbaidschan. Sie dokumentierten zahlreiche Fälle von Menschen, die nachts im Schlafanzug von Polizisten aus ihren Wohnungen gejagt wurden. Dann kamen die Bagger und Abrissbirnen.
Und was machten die Schweizer Medien aus der Geschichte? Das St. Galler Tagblatt schrieb „Nüssli baut für den Song Contest“ und lobte die tolle Membranfassade mit 45’000 LED-Leuchten. Kein Wort über Zwangsräumungen. Auch der Blick beliess es bei einer netten Firmen-News.
Haben also die Schweizer Medien einfach eine pikante Geschichte der FAZ verpasst? Leider nein. Es kommt noch dicker. Zwei Monate zuvor, am Schweizer Eurovision-Finale in Kreuzlingen am 10. Dezember 2011, wurde ein Video mit Sven Epiney auf SF gezeigt. Der bekannte Moderator war nach Baku gereist, um sich schon mal ein Bild vor Ort zu machen. Epiney besuchte auch die Nüssli-Baustelle für den Glaspalast und packt gleich selbst mit an.
In einer Einstellung (0:51) sieht man Epiney vor einem Wohnhaus stehen. Lächelnd erklärt er dem Schweizer Eurovision-Publikum: „Im Moment ist [das Bauprojekt] noch ambitioniert. Das Haus da hinten muss auch noch weg.“ Kein Wort von Zwangsvertreibungen. Nett formuliert: Etwas unsensibel von Sven Epiney. Er hat wohl von den Behörden in Baku ein unvollständiges Briefing erhalten. Sicher ist: Selbst recherchiert vor Ort hat Epiney bei seinem Blitzbesuch kaum.
Haben die Medienschaffenden auch in diesem Fall nicht so genau hingeschaut? Nicht ganz: Als damaliger Mediensprecher von Amnesty International habe ich verschiedene Schweizer Zeitungen auf das Problem der Zwangsräumungen und den Lapsus von Sven Epiney aufmerksam gemacht. Doch die Story war leider keinem Medium eine Zeile wert. Obwohl Amnesty International im Vorfeld des Schweizer Eurovision-Finals bereits auf die Menschenrechtsverletzungen in Aserbaidschan aufmerksam gemacht hatte.
Dabei hätte ich nur allzu gerne gewusst, ob die Schweizer Vertretung in Baku oder das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) hinter den Kulissen mitgeholfen hatten, Nüssli den fetten Auftrag zu sichern. Wäre dies der Fall, hätte die „Baku Crystal Hall“ alle nötigen Zutaten für einen veritablen Skandal. Auch wenn die Schweiz beim Eurovision-Final in der „Baku Crystal Hall“ nur zuschauen darf.
Nachtrag
Die Zeitung „Landbote“ hat über die „Crystal Hall“ paar interessante Fakten veröffentlicht. Genannt wird auch die Thurgauer Firma Nüssli. Was fehlt: der Hinweis auf Zwangsvertreibungen
Der Eurovision Song Contest 2012 wird vermutlich der teuerste aller Zeiten. Zwar gibt es keine ofiziellen Zahlen, doch das East-West Research Centre in Baku schätzt die Gesamtausgaben auf über 500 Millionen Euro. Allein die sogenannte Crystal Hall (Kristallhalle), wo die Show stattindet, soll zwischen 120 und 140 Millionen Euro gekostet haben. Sie wurde innert rekordverdächtigen acht Monaten erstellt. Bis zu 1500 Arbeiter waren gleichzeitig im Schichtbetrieb im Einsatz. Hinzu kommen die Kosten für die Erschliessung des Geländes und die Show selbst. Die Gattin des aserbaidschanischen Präsidenten persönlich sitzt dem Organisationskomitee vor – und soll peinlich genau darüber wachen, dass alles den Vorstellungen ihres Ehemanns entspricht. Proiteure des präsidialen Gigantismus sind allerdings auch ausländische Unternehmen. Die Konzerthalle wurde von einem deutschen Architekten entworfen und von der Thurgauer Firma Nüssli in Zusammenarbeit mit der Alpine Bau Deutschland GmbH errichtet.