Campaigning, Digitale Demokratie, Fundraising, Medien, Netzpolitik

Lang lebe die Republik!

Seit gestern hat die Schweiz ein Sprachrohr der Rebellion: die Republik. Knapp 6000 Menschen haben sich hinter einem Projekt versammelt, das noch ein Luftschloss ist, aber bald seine Mauern hochziehen wird.

Ich bin überzeugt, dass das neue Online-Magazin nur der Beginn einer kleinen Rebellion ist, welche Helvetia zum Tanzen bringen wird. Die Republik hat mit 1.3 Millionen Franken in 24h eine Crowdfunding-Rekordmarke gesetzt. Sie ist aber nur der Supertanker einer kleinen Flotte von Projekten, welche die neue Macht von Crowd-Campaigning aufzeigen.

Hier eine unvollständige Liste:

  • Im Oktober 2015 kauft sich der Musiker Donat Kaufmann die Titelseite von 20 Minuten, um gegen den Wahlkampf-Klamauk der SVP und undurchsichtige Parteifinanzen zu protestieren. Über 11’000 Menschen unterstützen seine Crowdfunding-Kampagne und spenden 138’815 Franken.
  • Im Januar 2016 startet der «Dringende Aufruf» gegen die SVP-Durchsetzungsinitiative, der von 200 Prominenten lanciert wurde. Das Spendenkonto explodierte. In nur rund fünf Wochen konnten 1,2 Million Franken für eine Plakat-Kampagne gesammelt werden. Kleines Detail: Im Hintergrund arbeitet damals Andrea Arezina mit, die auch im Team der Republik dabei ist und als Kampagnenleiterin die USR3-Abstimmung gewonnen hat.
  • Im Mai 2016 startet die Plattform wecollect.ch für digitale Demokratie, die ich —mit Donat Kaufmann – aufgebaut habe. In einem Jahr konnten über 130’000 Unterschriften für nationale Volksinitiativen und Referenden gesammelt werden. Benchmark ist bisher die Vaterschaftsurlaubs-Initiative: jede vierte Unterschrift kommt aus dem Internet. Und auch die Spendenkasse klingelt.
  • Im Januar 2017 sammelt die Operation Libero in wenigen Tagen über 150’000 Franken für eine Lastminute-Plakataktion für die erleichterten Einbürgerung der 3. Generation. Das Crowdfunding stellt sich gegen die Angstmacherkampagne der SVP, welche die ganze Schweiz mit Burka-Plakaten voll pflastert.

Unabhängige Medien und Geld sind das Schmiermittel der direkten Demokratie, obwohl niemand gerne darüber redet. Darum ist es entscheidend, dass nicht nur die SVP, Economiesuisse & Co sowie alliierte Medien über eine gefüllte Kampagnenkasse verfügen.

Die neuen Gegenspieler der alten Machtelite sind spontane Netzwerke von Einzelpersonen, die sich jenseits von Parteien, Verbänden und Organisationen im Internet bilden, um gemeinsam politische Projekte zu unterstützen.

Darum sind die Millionen für die Republik mehr als ein Mutmacher. Sie sind ein Call to Action für alle, die sich mit eigenen Projekten an der Rebellion beteiligen wollen, um den Journalismus und die Demokratie hoch zu halten und weiter zu entwickeln.

 

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Campaigning, Digitale Demokratie, Menschenrechte, Netzpolitik, Social Media

Chaotischer Pluralismus: Wie Crowd-Kampagnen unsere Demokratie auf den Kopf stellen

Wie kann die Zivilgesellschaft effizienter und mit Erfolg dazu beitragen, die Demokratie weiter zu entwicklen? Diese Frage beschäftig mich gerade. Auf Einladung von LevizAlbania nehme ich an der «Woche der lokalen Demokratie» teil, die in Tirana statt findet und von der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA unterstützt wird.

In meinem Workshop «How to run a campaign and win it» werde ich auch über ein Phänomen sprechen, das als «Crowd-Kampagne» beschrieben werden könnte. Träger dieser neuen Art von Mobilisierung sind spontane Netzwerke von Einzelpersonen, die sich jenseits von Parteien, Verbänden und Organisationen im Internet bilden, um gemeinsam politische Projekte zu unterstützen.

Die Folge von Crowd-Kampagnen sind ein «chaotischen Pluralismus», der unseren politischen Alltag verändern wird. Bei diesem «chaotischen Pluralismus» handelt es sich um einen Begriff, mit dem britische Wissenschaftler die Auswirkungen der sozialen Medien auf demokratische Systeme beschreiben, die durch die Nutzung digitaler Kanäle pluralistischer werden, was zugleich einen Wandel der politischen Akteure mit sich bringt. Sie sind nicht mehr nur in stabilen Interessengruppen organisiert, vielmehr handelt es sich vermehrt um lose Gruppierungen, die sich spontan durch Mobilisierung im Internet herausbilden.

Das beliebteste Werkzeug, um Crowd-Kampagnen zu starten sind Petitionen. Bereits in den 1990er Jahre wurde das Internet eingesetzt, um für Petitionen Unterstützerinnen und Unterstützer zu mobilisieren. Das traditionelle politische Instrument ist direkt in den virtuellen Raum übertragbar, da das Petitionsrecht in den meisten Ländern viel Spielraum hinsichtlich der Art und Weise der Eingabe und der dazu berechtigten Personen lässt. So können sich Nicht-Wahlberechtigte ebenso wie Kinder oder die ausländische Wohnbevölkerung an Petitionen beteiligen. Als Beleg sind keine Unterschriften nötig. Namen oder auch nur E-mail-Adressen genügen, da keine Nachprüfung erfolgt. In Ländern wie Deutschland und in Grossbritannien ist es heute sogar möglich, Online-Petitionen über offizielle Plattformen einzureichen.

Ein eigentlicher «Petitions-Boom» ist trotz den vielfältigen Möglichkeiten und niedrigen Hürden jedoch erst in den letzten Jahren zu beobachten, wobei Social Media-Kanäle wie Facebook und Twitter die Hauptrolle spielten. Die Möglichkeit der viralen Verbreitung erlaubt es, schnell und zu tiefen Kosten Unterstützerinnen und Unterstützer zu finden. Neue Petitions-Werkzeuge wie ActionSprout sind in Facebook eingebettet und helfen, die virale Wirkung der Plattform besser auszunutzen.

Trendsetter dieser Entwicklung sind internationale Plattformen wie Avaaz.org oder Change.org. Letztere hat nach eigenen Angaben über 135 Millionen Mitglieder weltweit und ermöglicht es Einzelpersonen, Petitionen in wenigen Minuten ins Internet zu stellen und in Zukunft auch Spenden zu sammeln. Mit jeweils einigen hunderttausend E-Mail-Kontakten in der Schweiz verfügen Change.org und Avaaz.org vermutlich über eine grössere E-Mail-Datenbank als alle Schweizer Parteien zusammen.

Petitionen sind oft ein Gradmesser dafür, wie Themen und Lösungsansätze in den Medien und in den Öffentlichkeit aufgenommen werden. Darüber hinaus erlaubt die Online-Sammlung den Aufbau von Adress-Datenbanken, die für weitere Projekte genutzt werden können. Insbesondere Nichtregierungsorganisationen setzen Petitionen als Marketinginstrumente ein, um Mitglieder oder Spenden zu werben. In diesem Sinne sind Petitionen – über die Wirkung auf das politische System hinaus – einen wichtigen Baustein, um eine effiziente und schlagkräftige Zivilgesellschaft herauszubilden und die Demokratie weiter zu entwickeln.

Eine Anmerkung zur Schweiz: In der direkten Demokratie spielen Petitionen eher eine geringe Rolle. Mit Volksinitiativen und Referenden auf kommunaler, kantonaler und nationaler Ebene stehen wirksamere Werkzeuge zur Verfügung, die in direkter Konkurrenz zu Petitionen stehen, gerade wenn es darum geht ein Thema auf die politische Agenda zu setzen und die Stimmbevölkerung darüber entscheiden zu lassen. Doch die Digitalisierung der direkten Demokratie lässt auf sich warten. Deshalb habe ich wecollect.ch aufgebaut. Auf der Online-Plattform wurden bereits über 130’000 Online-Unterschriften für Initiativen und Referenden gesammelt.

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Digitale Demokratie

Bundesrat sagt Nein zu E-Collecting. Braucht es jetzt eine Volksinitiative für digitale Demokratie?

 

Heute ist ein schlechter Tag für die direkte Demokratie. Der Bundesrat hat entschieden, E-Collecting definitiv auf Eis zu legen. Damit ist es in den nächsten Jahren, vielleicht gar Jahrzehnten, nicht möglich, eidgenössische Volksinitiativen und fakultative Referenden im Internet zu unterzeichnen.

Die Aufrechterhaltung der Briefkasten-Demokratie im Zeitalter der Digitalisierung ist nicht nur teuer, sondern widerspricht dem Grundgedanken der direkten Demokratie: Die politische Partizipation für alle Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten, was zwingend heisst, das Mitbestimmen möglichst einfach zu gestalten und der technologischen Entwicklung anzupassen.

Aber auch ohne E-Collecting könnte sich in der Schweiz etwas bewegen: Über 100’000 Personen haben in den letzten zehn Monaten unsere Plattform wecollect.ch genutzt, um sechs nationale Initiativen und zwei Referenden zu unterstützen.

Den Spitzenplatz hält bisher mit über 41’000 Online-Unterschriften die Vaterschaftsurlaubs-Initiative, wobei die Sammelfrist noch bis November 2017 läuft. Der Rücklauf zeigt, dass die Initiative eine weitere Rekordmarke setzen wird: Bei der Einreichung wird wohl jede fünfte der benötigten 100’000 realen Unterschriften im Internet gesammelt worden sein.

Nach dem bundesrätlichen Nein zu E-Collecting braucht es vielleicht einen nächsten Schritt. Die Briefkasten-Demokratie könnte mit einem juristischen Update umgangen werden. Die Voraussetzung wäre eine Ergänzung im Bundesgesetz über politische Rechte, mit dem Ziel,  die digitale Unterschrift auf einem Smartphone oder Tablet zu erlauben.

Bisher ist es nicht zulässig, Initiativen und Referenden auf einem Touchscreen zu unterzeichnen und anschliessend online zu übermitteln. Für eine «eigenhändige Unterschrift» gemäss Art. 61 des Bundesgesetzes braucht es jedoch gemäss einem Gutachten des Zentrums für Demokratie Aarau nicht zwingend eine digitale Signatur. Die Einblendung eines Warnhinweises, dass sich strafbar macht, wer auf einem Touchscreen unbefugt oder für jemand anders unterzeichnet, könnte genügen.

Eine derartige Ergänzung des Bundesgesetzes für politische Rechte hätte für die Unterschriftensammlung im Internet positive Folgen. So würde beispielsweise ein grosser Teil der Portokosten wegfallen, die immer noch einen Löwenanteil der Sammelkosten ausmachen und eine Hürde für finanzschwache Komitees darstellen. Darüber hinaus  liesse sich mithilfe des Internets  der kleine  Kreis der Stimmberechtigten, die bisher Gebrauch von den direkten Volksrechten machen, deutlich vergrössern. Gerade bei Referenden, bei denen der Zeitraum für die Unterschriftensammlung oft knapp ist, würde die digitale Unterschrift zudem erlauben, die gesammelten Unterschriften den Gemeinden rascher für die Beglaubigung zu übermitteln.

Vielleicht sollten wir nicht länger auf den Bundesrat und das Parlament warten. Ich bin überzeugt, dass jetzt ein politischer Impuls von Seiten der Zivilgesellschaft nötig wäre. Vielleicht hätte eine Volksinitiative «Digitale Demokratie jetzt!» gute Chancen, eine dringend nötige Zukunftsdiskussion anzustossen und E-Collecting auf die Agenda zu setzen.

 

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Digitale Demokratie

Digitalisierung der Politik: Chance oder Ende der Demokratie?

Die parlamentarische Gruppe Digitale Nachhaltigkeit hat mich als Gründer der Polit-Plattform wecollect.ch eingeladen, über das Thema digitale Demokratie zu sprechen. Ein Podiumsgespräch mit Prof. Dr. Abraham Bernstein, Adrienne Fichter, Dr. Markus Christen und mir soll ausloten, welche Chancen und Risiken mit der Digitalisierung der Demokratie verbunden sind.

Der 8. März scheint mir ein passender Tag, um über die digitale Demokratie zu sprechen. Der Weltfrauentag erinnert in der Schweiz stets an die lange hinausgezögerte Einführung des Frauenstimmrechts und damit an eine paradoxe Schwachstelle der direkten Demokratie: den restriktiven Zugang zur politischen Partizipation. Rund ein Viertel der Wohnbevölkerung ist heute noch – wegen den rigiden Einbürgerungsverfahren – von der politischen Mitgestaltung ausgeschlossen.

Eine ähnliche systembedingte Resistenz zeigt sich bei der Einführung der digitalen Demokratie. Die offizielle Schweiz hat es gar nicht eilig, die Chancen der technologischen Entwicklung zu nutzen, um die politische Partizipation zu fördern und zu vertiefen.

Beispielhaft dafür steht das Thema e-Collecting, das in der politischen Diskussion höchstens eine Fussnote war. Die Sammlung von Unterschriften im Internet hat für den Bundesrat und für das Parlament keine Priorität. Diese Haltung ist nicht nachvollziehbar, geht es doch um die «Kronjuwelen» der direkten Demokratie: die Volksinitiative und das Referendum.

Wie Demokratie auf dem Smartphone aussehen könnte, zeigt unser Projekt wecollect.ch. Die Plattform ermöglicht es, Unterschriften im Internet viraler, schneller und kostengünstiger zu sammeln. In nur elf Monaten wurden auf wecollect.ch über 100’000 Unterschriften für fünf nationale Volksinitiativen und zwei Referenden gesammelt.

Die Rücklaufquote ist bei wecollect.ch mit über 50 Prozent sehr hoch für die «Briefkasten-Demokratie», die weiterhin eine handschriftliche Unterzeichnung und Einsendung auf dem Postweg vorschreibt. Für die laufende Volksinitiative für vier Wochen Vaterschaftsurlaub, die im Sommer eingereicht wird, stammt voraussichtlich jede fünfte Unterschrift aus dem Internet.

Die rege Nutzung der Plattform wecollect.ch zeigt: Die Nachfrage nach neuen, digitalen Partizipationsmöglichkeiten ist vorhanden. Vielleicht sollten die Bürgerinnen und Bürger nicht länger auf den Bundesrat und das Parlament warten. Ich bin überzeugt, dass ein Impuls von Seiten der Zivilgesellschaft nötig wäre, um eine Debatte über die Digitalisierung der Demokratie anzustossen. Zu prüfen wäre auch, ob eine Volksinitiative die Rolle eines Katalysators übernehmen könnte.

Sicher ist: An einer «neuen» Demokratie-Bewegung beteiligt sich auch wecollect.ch. Die Plattform wurde bisher meist als «Unterschriften-Automat» (NZZ) wahrgenommen. Hinter dem Projekt steht jedoch eine Community-Idee: Mit wecollect.ch sollen Menschen zusammengebracht werden, für die die digitale Demokratie heute eine Selbstverständlichkeit ist. Aktuell umfasst die Community rund 15’000 Stimmbürgerinnen und Stimmbürger, die bereits eine Initiative oder ein Referendum auf wecollect.ch unterstützt haben. Die «early adopter» sind eine gute Basis, um jetzt den nächsten Schritt zu wagen und mehr Demokratie einzufordern.

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