Netzpolitik

Asyl mit einem Klick! Ein simples Formular im Netz kann Leben retten.

Der Mediencoup kam vor dem Sommerloch: Edward Snowden veröffentlichte Anfang Juni Informationen über das geheime US-Überwachungsprogramm «Prism». Über Nacht wurde der ex-Geheimdienstmitarbeiter zum Vorkämpfer für ein freies Internet und zum Staatsfeind Nr. 1 in den USA. Nach einer mehrtägigen Flucht landete Snowden in Moskau. Dort angekommen, stellt er gemäss Wikileaks Asylgesuche in 21 Ländern, darunter auch in der Schweiz.

Asyl_Klick

Selbst wenn sein Gesuch tatsächlich in Bern eingetroffen wäre, was das Bundesamt für Migration energisch bestreitet, hätte der Asylantrag aus Moskau keine Chance gehabt. Fast zeitgleich mit den brisanten Enthüllungen hat die Stimmbevölkerung am 9. Juni 2013 die «dringlichen Massnahmen» und damit auch die Abschaffung des Botschaftsasyls angenommen. Schutzbedürftige müssen sich nun bereits in der Schweiz aufhalten, um einen Antrag auf Asyl stellen zu können.

Verfolgte haben damit die letzte Möglichkeit verloren, legal in die Schweiz zu gelangen. Sie müssen sich einem kriminellen Schlepper anvertrauen und riskieren ihr Leben. Schweizer Botschaften können zwar humanitäre Visa ausstellen. Sie tun dies aber äussert knauserig – von Oktober 2012 bis Mai 2013 nur in sechs Fällen. Flüchten Menschen in Drittstaaten, haben sie in der Praxis kaum eine Chance, ein humanitäres Visum zu erhalten.

Dieser Zustand ist unhaltbar. Es braucht neue Wege, auf denen Schutzbedürftige sicher in die Schweiz gelangen können. Weshalb nutzt die Schweiz nicht die neuen Möglichkeiten, die sich mit dem Internet bieten? Für einen Asylantrag braucht es heute keine Botschaft mehr. Ein Formular im Internet würde genügen.

Ist ein Asyl-Schalter im Netz nur Zukunftsmusik? Im Gegenteil: Visa-Gesuche können bereits heute via Internet gestellt werden. Verfahren lassen sich auf diese Weise effizienter und noch dazu kostengünstiger abwickeln. Ein solcher Prozess wäre grundsätzlich auch für Asylgesuche denkbar. Der Vorteil liegt auf der Hand: Gefährdete Menschen könnten rund um die Uhr und überall auf der Welt Asyl beantragen. Zivilgesellschaftliche Organisationen hätten die Möglichkeit, Gesuche zu unterstützen und Informationen beizusteuern, welche die Prüfung erleichtern und beschleunigen würden.

Wir leben in einer Zeit, in der das Internet zu Recht ein Hoffnungsträger geworden ist. In so unterschiedlichen Ländern wie Ägypten und China kämpfen Bloggerinnen und Blogger an vorderster Front gegen autoritäre Regierungen. Sie nehmen sich wie Edward Snowden die Freiheit, Machtmissbrauch und Menschenrechtsverletzungen öffentlich zu machen.

Der Respekt gegenüber diesen Mutigen gibt dem Begriff «Asyl» die breite gesellschaftliche Anerkennung zurück, die in der entfesselten Missbrauchsdebatte verloren ging. Warum sollten wir den Netz-AktivistInnen nicht auch per Internet Schutz vor Verfolgung anbieten? Der Schweiz stünde es gut an, die «humanitären Traditionen» neu zu beleben. Ein einfacher Klick könnte ein Leben in Sicherheit und Würde ermöglichen.

Daniel Graf, Campaigner und ehemaliger Mediensprecher von Amnesty International

(Publiziert im Bulletin von Solidarité sans frontières, September 2013)

Solidarité sans frontières,  Bulletin September 2013

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Unheimliche Patrioten im Netz: Kommen nur die Dummen an die Kasse?

Nach der Affäre um den Kristallnacht-Tweet von Alexander Müller hat es den nächsten Dummen erwischt. Das Solothurner SVP-Mitglied Beat Mosimann, der auf Facebook und in Online-Foren seine rassistische Hetze verbreitet hat. Der Applaus der Online-Community war frenetisch. Der Fall von Müller wurde gar mit dem Hashtag «Twittergate» geadelt.

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Lässt sich sicher auch auf Twitter zeigen: Verbindungen zwischen den Rechtsextremen-Szenen (Quelle: 20minuten.ch)

Ich kann die Begeisterung für den Recherche-Journalismus 2.0 nicht ganz teilen. In beiden Fällen waren es im Netz bekannte Wiederholungstäter. Zwei Exhibitionisten, für die der Kick in der Online-Öffentlichkeit grösser war als ihr Risiko-Bewusstsein. Es war nur eine Frage der Zeit, bis solche Geschichten Schlagzeilen machen. Dafür braucht es keine aufwendige Recherche, sondern nur ein paar Screenshots.

Was ich nicht verstehe: Warum gräbt niemand tiefer? Weshalb haben sich etwa die Sonntagszeitungen nicht die Mühe gemacht, die rechtsextremen Netzwerke auf Twitter und Facebook genauer anzuschauen? Viele Verbindungen und Interaktionen sind mit paar Klicks zu entschlüsseln. Und es gibt zahlreiche Werkzeuge, um Daten auszuwerten und dazu visuell darzustellen.

Wie lange müssen wir darauf warten, bis jemand den Blog «Unheimliche Patrioten im Netz» schreibt? Es kann doch nicht sein, dass nur die Dummen an die Kasse kommen. Wichtiger wäre es, die Biederfrauen und Brandstifter aufzudecken, die ihre politische Karriere dem braunen Filz verdanken.

PS: Lesenswert dazu auch der Blog von Balthasar Glättli «Unheimliche Patrioten 2.0».

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Netzpolitik

Gelöschter Kristallnacht-Tweet: Politwoops für die Schweiz?

Was hat Alexander Müller tatsächlich getwittert? Ausser einem mageren Screenshot bleibt vom gelöschten «Kristallnacht-Tweet» bisher wenig übrig.

Vielleicht wäre es endlich an der Zeit, dass jemand in der Schweiz die Idee von Politwoops aufnimmt. Der Dienst folgt Twitter-Accounts von PolitikerInnen und veröffentlich gelöschte Tweets automatisch. Bei jeder Meldung steht auch, wann sie genau gelöscht wurde. Wer will, kann auf die gelöschten Tweets direkt antworten oder die unliebsamen Meldungen retweeten.

Wie die NZZ Online schreibt, stammt die Originalversion von Politwoops aus den Niederlanden und wurde von der Open State Foundation lanciert. Die Stiftung hat sich Wählerinformation auf die Fahnen geschrieben. Bisher wurden zwölf Ableger von Politwoops hervorgebracht.

Also ich wäre gerne bereit, ein solches Projekt zu unterstützen. Wer macht mit?
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Recht auf Vergessen im Internet?

Bekifft an einem Hardcore-Konzert, Zungenakrobatik mit Freundin, Teilzeitnudist im Tessin. Wenn ich mich durch meine Fotokiste wühle, bin ich schon froh, dass meine postpubertäre Phase nicht auf Facebook drauf ist. Die wilden Zeiten sind nur auf Fotopapier verewigt.

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Me,jeff and uzzi totally drunk on headbangers open air!

Wäre ich heute ein Teeny, würde ich sicher ein Teil dieser Schnappschüsse auf Facebook posten. Die witzigen Seiten des Lebens zu teilen, macht ja am meisten Spass und generiert – last but not least – am meisten Likes und Kommentare. Und klar, auch ich wäre nicht so dumm, jeden Schweiss hoch zu laden. Wir wissen ja: Das Internet ist ein schwarzes Loch, das alles aufsaugt und nie vergisst.

Wirklich alle? Nicht ganz. Der Schweizer Bundesrat prüft im Moment auf Anregung von SP-Nationalrat Jean Christoph Schwab, ob dringlicher «gesetzgeberischer Handlungsbedarf» für ein Recht auf Vergessen im Internet besteht. Ob wir also per Gesetz von Facebook und Co eine definitive Löschung von Einträgen einklagen könnten.

In meinen Ohren klingt das «Recht auf Vergessen» sympathisch. Auch die Löschung der eigenen Daten bei Plattformen zu verlangen, finde ich selbstverständlich. Der radikalen Umsetzung im Web sind trotzdem enge Grenzen gesetzt. Deshalb finde ich es absurd, zu viel Denkzeit darüber zu verschwenden. Falls der Bundesrat gerne Grundsatzdiskussionen führt schlage ich ein weiteres Gesetz vor: Alle Zeitungen im ganzen Land werden nach dem Lesen eingesammelt, um in Zukunft alle unliebsame Artikel ausschneiden und vernichtet zu können.  (Anmerkung: Balthasar Glättli hat zu Recht angemerkt, dass mein polemischer Vergleich zwischen Zeitungen und Web zu kurz greift).

Statt über die Spielregeln im Internet zu lamentieren, könnten wir dem unvergesslichen Datenspeicher auch etwas positives abgewinnen: Das Leben wird ehrlicher und authentischer. Keine verlogenen Moralapostel mehr, die nie Jung waren, nie über die Stränge gehauen und nie einen Sommer für Anarchie demonstriert haben. Und wer das alles verpasst hat, ist selbst schuld.

PS: Leider habe ich meine alten Fotos noch nicht digitalisiert. Aber in einer unkontrollierten nostalgischen Phase werde ich wohl meine Timeline aufpeppen.

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Best of Republica 2012

Bin gerade dabei, Notizen, Visitenkarten und Tweets der Re:publica 2012 zu sortieren. Leider konnte ich nur bis Donnerstag in Berlin bleiben. Einen Tag habe ich also verpasst. Hier meine Highlights, ergänzt mit Schnipsel von weiteren Kongress-TeilnehmerInnen.

Mehr als gute Show: Sascha Lobo hält Internetpeople den Spiegel vor

Die Halle war zum Bersten voll, als Sascha Lobo anhob, vor der versammelten Netzgemeinde den „Stand des Internets 2012“ zu referieren. Auch ich war da und sicher, dass mich Lobo enttäuschen wird. Tat er aber nicht. Im Gegenteil: Es machte richtig Spass, ihm fast 90 Minuten zu zuhören. Etwa als Lobo über den besten Tweet aller Zeiten von @kosmar philosophierte: „Bratwurst im Zoo. So sind die Menschen.“

Tipps und Tricks fürs NGO-Campaigning

Sehr gespannt war ich auf die Veranstaltung «Activism, slacktivism & real pressure» von Marco Vollmar und Paula Hannemann, beide vom WWF Deutschland. Am Beispiel der weltweiten Kampagne gegen das brasilianische Waldgesetz («Forest Code») zeigten sie auf, warum eine erfolgreiche Webkampagne offline scheitern kann. Die Botschaft war klar: Nicht in Zahlen denken, sondern den Druck maximieren. Mehr dazu im Vortex-Blog und im Storify-Beitrag von Thomas Henning. Am Freitagmorgen gab es eine weitere Veranstaltung mit wertvollen Campaigning-Tipps. Auf dem Podium sassen die MacherInnen der Re:campaign. Alles prima nachzulesen im Blog von Marie-Christine Schindler.

Blockade von Websites: Zwei Hacker, zwei Meinungen

„Anonymous!“ – nur Vandalismus oder geht’s um die Netzfreiheit? Der Talk wurde spannend, als Frank Rieger, Sprecher des Chaos Computer Clubs, und der bekannte Hacker Jacob Appelbaum über die Blockaden von Websites diskutierten. Appelbaum verteidigte solche Aktionen als legitime Widerstandsformen. Für Rieger wiedersprachen sie dem Grundsatz, für unbeschränkten Zugang zu Informationen im Internet zu kämpfen. Ich selbst finde, dass „Denial of Service“-Angriffe (DoS) durchaus mit digitalen Sitzblockaden vergleichbar sind. Eine Diskussion, die ich gerne mal mit Mike Schwede vertiefen möchte. Lesenswert dazu auch der Blog von Wortgefecht.

Make love not porn

Sicher das hot issue an der Re:publica: Die Speech von Cindy Gallop über ihr kommerzielles Web-Projekt „Make love not porn„. Ihr Credo: „Zu glauben, man könne aus Pornos etwas über Sex lernen ist als ob man glaubte, man könne Autofahren lernen, indem man sich ‚The Fast and The Furious‘ ansieht.“ Man darf gespannt sein, ob und wie Gallop ihr Ziel, eine offene Diskussion über Pornographie und Sexualität anzustossen, erreicht. Ihr WebTV-Kanal soll dieses Jahr auf Sendung gehen.

Hotspot im Gepäck

Last but not least werde ich nie mehr an eine Konferenz ins Ausland reisen, ohne einen eigenen Hotspot in der Tasche zu haben. Ich wurde ja gewarnt, dass an der Internet-Konferenz Re:publica der WLAN aus Tradition nicht funktioniert. Jedenfalls haben die Roaming-Kassen geklingelt. Schätze 1 Euro pro Tweet. Deshalb habe ich mir den Huawei E5 bei Digitec bestellt (CHF 99). Nützlich auch in den Ferien. Danke an Marco Nierlich für den Tipp!

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