Campaigning, Digitale Demokratie, Netzpolitik, Social Media

«Wahlen gewinnt man mit Datenbanken, nicht mit Facebook-Ads.»

Die Debatte über #PolitikAds und Facebook-Marketing ist wichtig, verdeckt jedoch den Blick auf die heikelste Zone: die Datenbanken. Seit kurzem nutzt die FDP Nationbuilder für die #AV2020-Kampagne.  Das US-Supertool kombiniert E-Mail-Adressen mit Social Media-Konten – ohne die Einwilligung der User. «Social Match» ist mit dem Datenschutz kaum vereinbar. Vor den Wahlen in Frankreich musst Nationbuilder die Funktion auf öffentlichen Druck abstellen.

Der neue Kampfplatz für Wahlen und Abstimmungen heisst Facebook. Der Platzhirsch unter den Social Media-Plattformen ermöglicht eine effiziente Mobilisierung der eigenen Anhängerschaft. Facebook ist deshalb ein zentraler Pfeiler jeder Get-Out-The-Vote-Strategie.

Social Media dient auch als Plakatwand und als Briefkasten für politische Kampagnen. Wer eine Botschaft auf Zielgruppen zuschneiden und ausliefern möchte, nutzt Facebook-Ads. Hundefreund, Gospelsängerin oder Pizzalover? Das sogenannte Micro-Targeting erlaubt, Facebook-User präzise einzukreisen – über Alter, Geschlecht und Wohnort hinaus.

Im Gegensatz zu klassischen Plakat- und Inseratkampagnen läuft die Facebook-Werbung unter dem Radar der Öffentlichkeit. Als «Dark Posts» sind Ads nur für die Zielgruppe sichtbar und erlauben, «versteckte» Botschaften zu verbreiten. Im US-Wahlkampf schaltete das Trump-Team Facebook-Werbung für afroamerikanische Wählerinnen und Wähler, um sie von der Urne fern zu halten.

Politische Datenbank mit Staubsauger-Funktion

Um für mehr Transparenz bei politischen Kampagnen zu Sorgen, hat Adrienne Fichter und mit Martin Fuchs die Aktion #Politads gestartet. Ich unterstütze diese Kampagne, weil ich die Auseinandersetzung mit Online-Marketing relevant finde und mehr Transparenz nötig ist. Es ist hoffentlich nur eine Frage der Zeit, bis neue Civitech-Werkzeuge ermöglichen, Facebook-Ads live mitzuverfolgen. 

Als Campaigner bin ich hingegen nicht einverstanden, dass zielgruppenspezifische Werbung auf Facebook grundsätzlich fragwürdig und eine Grauzone sei. Wer Wahlen und Abstimmungen gewinnen will, arbeitet immer mit unterschiedlichen Botschaften. Selbst Plakatkampagnen sind heute zugeschnitten auf regionale Themen, wie die Kampagne gegen die Unternehmenssteuerrefom beispielhaft gezeigt hat.

Die Debatte über Facebook-Ads könnte zudem zum Nebelwerfer werden. Wahlen und Abstimmungen gewinnt man heute nicht mit Online-Werbung, sondern mit Datenbanken. Sie speichern Kontaktinformationen wie E-Mail-Adressen und reichern diese mit weiteren Informationen an, die im Netz über uns zu finden oder zu kaufen sind. Die digitalen Karteikarten über Wählerinnen und Wähler bleiben – im Gegensatz zu Facebook-Ads – total im Dunkeln. 

Bei den Kampagnen-Datenbanken gab es in den letzten Jahren eine kleine Revolution. Zuvor musste eine Partei oder eine Lobbyorganisation tief in die Tasche greifen. Im US-Wahlkampf erprobte Systeme wie Blue State Digital konnten sich nur Economiesuisse & Co leisten. Heute stehen mit Nationbuilder Plattformen zur Verfügung, die sich selbst eine Kleinpartei leisten kann und die einfach zu bedienen sind.

So nutzt seit kurzem die FDP-Schweiz die Plattform Nationbuilder für die AV2020-Kampagne. Wie alle smarten Datenbanken integriert dieses Werkzeug auch Social Media. Nationbuilder geht noch ein Schritt weiter. Mit der Funktion «Social Match» ist es möglich, über eine E-Mail-Adresse die persönlichen Facebook-, Twitter- und Linkedin-Konten einzubinden. So wird der Datensatz ergänzt mit Informationen via Social Media, obwohl der User nie seine Zustimmung geben hat. 

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Automatische Kombination von Email-Adressen und Social Media-Konten mit Nationbuilder (Quelle: http://nationbuilder.com/nationbuilder_social_match)

Es würde mich wundern, wenn «Social Match» kein grober Verstoss gegen die geltenden Schweizer Datenschutzbestimmungen wäre. In Frankreich wurde bereits gehandelt: Auf Druck der nationalen Informatikkommission und Freiheiten (CNIL) hat Nationbuilder die Matching-Funktion vor den Wahlen abgestellt und dazu öffentlich Stellung bezogen.

Ich hoffe, dass sich der Schweizer Datenschutzbeauftragte bald zum Thema «Social Matching» äussert. Spätestens für die nationalen Wahlen 2019 brauchen wir verbindliche Spielregeln, wie politische Parteien und Interessenorganisationen Datenbanken und Online-Werkzeuge einsetzen dürfen.  

 

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Campaigning, Medien

Bigler schiesst ein Eigen-GOAL: Gewerbeverbands-Direktor verschleiert Stratege hinter der umstrittenen RTVG-Nein-Kampagne

Die BAZ verteilt neuerdings Preise für Abstimmungs-Kampagnen. Als überraschender Favorit im Hause Somm gilt die umstrittene RTVG-Nein-Kampagne des Gewerbeverbandes.

«Was die politische Schweiz dieser Tage erlebt, ist eine der überraschendsten und erfolgreichsten Abstimmungs-Kampagnen seit Jahren», schreibt BAZ-Jurnalist Beni Gafner in seiner Laudatio.

Das Meisterstück ortet die BAZ in der cleveren Medienkampagne, die ganz frontal auf Provokation setzt und den Gewerbeverband als «Partei und streitbar» positioniert.

Die RTVG-Nein-Kampagne wird als grandiose Strategie gefeiert, zumal auch die Medien brav die zugedachte Rolle spielen: «Die zarten Zürcher von Blick und TagesAnzeiger zeigen sich entsetzt über blutige Finger.»

Bevor der Lesende laut klatscht, möchte er jetzt aber wissen, wer der brilliante Stratege hinter der Gewerbeverband-Kampagne ist. Hier weiss BAZ-Journalist Beni Gafner, der zweifellos über erstklassige Insider-Informationen verfügt, erstaunliches zu berichten.

«Weniger bekannt ist, dass Bigler und dessen 35-jähriger Kommunikationschef Bernhard Salzmann die Kampagne alleine geplant und im kleinen Team von drei Verbands-Redaktoren der hauseigenen Gewerbezeitung umgesetzt haben. Keine PR-Agentur, keine teuren Werbeprofis von aussen.»

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Stimmt das? Ein kurzer Blick in den HTML-Code der Kampagnen-Website zeigt, dass die Agentur GOAL dahinter steckt. Die Kampagnenbilder verweisen auf die Website «devlop14.goal-center.ch», welche auf einen gewissen Alexander Segert eingetragen ist.
Der Kopf der SVP-Agentur GOAL ist der Schöpfer berühmt-berüchtigter Kampagnen: das gerupfte Huhn, die rote Ratte, das schwarze Schaf, der Messerstecher, die Minarett-Raketen. Für seine Geniestreiche erhielt Segert bisher keine Preise, sondern musste sich vor Gericht verantworten.

Warum verheimlicht Gewerbeverbands-Direktor Hans-Ulrich Bigler den Kopf hinter der RTVG-Kampagne? Aus Eitelkeit? Kaum. Bigler hat – auch als Mitglied der FDP-Mannschaft – ein simples Reputationsproblem: an den Kampagnen von GOAL klebt Dreck.

Wer die SVP-Agentur GOAL ins Boot holt, weiss was er will und geliefert bekommt: Hetzerische und aggressive Schockkampagnen aus der untersten Schublade der Kreativbranche. Auch der mediale Shitstorm gehört zum Lieferumfang und ist als Gratis-Multiplikator fest eingeplant.

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Bigler hat wohl die GOAL-Rechnung grosszügig aufgerundet und von Alexander Segert eine Vertraulichkeitserklärung unterzeichen lassen. So ist es gefahrlos möglich, in der Öffentlichkeit Kommunikationschef Bernhard Salzmann, Verbandspräsident Nationalrat Jean-François Rime (SVP) und sich selbst als kreatives Kampagnen-Dreamteam zu präsentieren.

Offenbar hat Bigler eine Grundregel der Kampagnenarbeit vergessen: Den brauen Dreck an den Sohlen sieht man spätestens, wenn einer über den roten Teppich läuft.

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