Buch, Digitale Demokratie

Warum ein Buch über die digitale Demokratie schreiben?

Wie funktioniert die Schweizer Demokratie 2025? Diese Frage beschäftigte mich in den letzten Monaten. Auslöser waren die Erfahrungen mit der Polit-Plattform wecollect.ch, mit der wir mehr als 145’000 Online-Unterschriften für Volksinitiativen und Referenden gesammelt haben.

Mir ist klar geworden, wie wenig über die Zukunft der direkten Demokratie nachgedacht und diskutiert wird. Im Zeitalter des Smartphones ist die Schweiz eine Briefkasten-Demokratie geblieben: Ohne Papier und Briefmarken steht unser politisches System still.

Gleichzeitig hat die Digitalisierung unser Leben total verändert. Und dies mit einer Geschwindigkeit und Radikalität, die niemand voraussehen konnte. Höchste Zeit also, über Chancen und Risiken der digitalen Demokratie zu diskutieren.

Darum wage ich mich an mein erstes Buch: «Digitale Landsgemeinde. Die Zukunft der direkten Demokratie» heisst der Arbeitstitel. Es wird im Frühling 2018 im NZZ Libro Verlag erscheinen. Das Projekt stemme ich nicht alleine, sondern mit einem engagierten Co-Autor: Maximilian Stern, Mitgründer der Think-Tanks foraus und staatslabor.

Wir sind beide überzeugt: Bald wird unser politische System ins Wanken geraten, weil sich die Demokratie in der digitalen Transformation neu erfinden und gleichzeitig die Balance halten muss.

Die Aufrechterhaltung des Status-Quo im Zeitalter der Digitalisierung widerspricht zudem dem Grundsatz der direkten Demokratie: Die politische Partizipation für alle Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten, was zwingend heisst, das Mitbestimmen möglichst einfach zu gestalten und der technologischen Entwicklung anzupassen.

Darum möchten wir einen Impuls liefern um eine breite Debatte über die Digitalisierung der direkten Demokratie anzustossen und das Thema auf die politische Agenda zu setzen.

News zum Buchprojekt und rund um das Thema «Digitale Demokratie» gibt es auf https://digitale-demokratie.ch. Wer dran bleiben möchte, abonniert den Newsletter oder folgt uns auf Facebook und auf Twitter.

 

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Campaigning

Top-Down-Mobilisierungen für Abstimmungen: Ein Auslaufmodell?

Kurz vor dem Abstimmungssonntag am 27. November habe ich meine Mailbox durchgeschaut. Hat mir jemand eine persönliche Email geschrieben, um für ein Ja für die Atomausstieg-Initiative zu werben? Das Resultat meiner Kurzrecherche: Nope, niemand hat sich gemeldet.

Dafür habe ich in den letzten Tagen mindestens ein Dutzend Newsletters erhalten mit Titel wie «Jetzt abstimmen!» oder «So schaffen wir den Ausstieg». Die Absender waren Parteien, Organisationen und einige PolitikerInnen, die mich mit einer personalisierten Anrede ansprachen, aber gleichzeitig die Email an Tausende andere schickten. Für mich ist das kommunikatives Dosenfutter, das mich selten anspricht.

Auf auf Facebook und Twitter fällt das Resultat gleich  aus: Ich habe viele Clips und Aufrufe gefunden, aber keine an mich persönlich gerichtete Message aus meinem Freundeskreis «Daniel, geht doch bitte abstimmen!».

Eine Ausnahme war Silvan, der im Büro vorbeikam und einen Anti-Atomsticker an meinen Monitor klebte. Die kleine Intervention war sehr wirksam. Der Kleber erinnerte mich jeden Tag daran, dass ich noch nicht per Brief abgestimmt habe.

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Monitor mit Sticker: Guerilla-Aktion von Silvan.

Was ich fürs Netz beschrieben habe, spiegelt meine Alltagserfahrungen der letzten Wochen. In privaten Gesprächen war die Atomausstieg-Initiatie kaum ein Thema. Und im Gegensatz zu DSI-Abstimmung hat mir gar niemand erklärt, wie wichtig es sei, auf jeden Fall an die Urne zu gehen.

Diese Bilanz ist für mich ziemlich irritierend, war doch die Atomausstiegs-Kampagne in den Medien extrem sichtbar und hat – was auffällt – die Gegnerschaft mit einem offensiven Agenda-Setting vor sich her getrieben. Die Ja-Kampagne hatte, in den grossen Städten wie Zürich, Basel und Bern, genug Budget, um mit Plakaten starke Präsenz zu markieren.

Warum hat die Mobilisierung beim emotionalen Dauerbrenner «Atomausstieg» nicht stärker gegriffen? Ein Grund ist sicher bei der Kampagnen-Konzeption zu suchen. Die Strategie setzte auf die drei Pfeiler Marketing (Plakate, Inserate), Medienarbeit und Top-Down-Mobilisierung via Mitgliederorganisationen.

Eine Ausnahme war die professionell aufgezogene Mitmach-Kampagne von Greenpeace im Kanton Zürich, die in der bildstarken Aktion vor dem Grossmünster gipfelte. Im Gegensatz zur nationalen Kampagne wurden deutlich mehr Mittel in Multiplikatoren investiert,  4’500 Telefongespräche geführt und mehr als 15’000 handgeschriebene Postkarten verschickt.

Positiv aufgefallen sind mir auch die gut gemachten Social Media-Inhalte. Sie kamen aber – zumindest in meiner Facebook-Timeline – meist aus der gleichen Ecke und zogen keine breiten Kreise (nur der Clip von Vincent Verzat war in der Romandie ein Blockbuster). 

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Fotoaktion von Greenpeace in Zürich.

Was in der Abstimmungsstrategie, so weit dies von Aussen erkennbar ist, also fehlte, ist der Fokus auf «Get out the vote» (GOTV). Diese Prinzip, entwickelt für US-amerikanische Wahlkampagnen, ist simpel: möglichst viele Menschen mittels Multiplikatoren an die Urnen zu bringen. Die Hauptarbeit der Kampagne liegt im Aufbau einer möglichst engagierten Freiwilligenbasis, die im Schlussspurt die 1-zu-1-Mobilisierung übernimmt.

Die Atomausstieg-Kampagne zeigt, dass in der Schweiz darauf vertraut wird, die Stimmberechtigten mit Plakaten, Inseraten und Streuwürfen sowie mit flankierender Medienarbeit für die Stimmabgabe zu gewinnen. Die indirekte Mobilisierung ist vermutlich nicht sehr effektiv, zeigt doch die Wahlforschung, dass insbesondere direkte Kontakte, aus dem sozialen Umfeld, darüber entscheiden, ob jemand abstimmt oder nicht.

Deshalb haben sich in anderen Ländern die GOTV-Mobilisierung etabliert, um im dem Direktkontakt an der Haustüre, am Telefon oder mit persönlichen Email die Wählerinnen und Wähler abzuholen. Auch die SP Schweiz setzt seit 2015 aufs Telefon, um vor Wahlen möglichst viele 1-zu-1-Gespräche zu führen.

Zweifellos fehlen vielen Kampagnen die Mittel und die Freiwilligen für Telefonkampagnen. Doch die nächste beste Option sind Email-Adressen. Die Ja-Kampagne für einen geordneten Atomausstieg hätte – über die beteiligten Partien und NGO – sicherlich Zugriff auf weit über 100’000 Email-Adressen gehabt.

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Die Ausgangslage ist vergleichbar mit dem Referendums-Abstimmung gegen die 2-Gotthardröhre, bei der ich für die Online-Kampagne zuständig war. In einer Zeitspanne von rund 2 Monaten konnten wir aus bestehenden Email-Kontakten rund 10’000 Aktivistinnen und Aktivisten rekrutieren (Opt-In), die sich aktiv an der Schlussmobilisierung beteiligt haben.

An diese Kampagnen-Community haben wir pro Woche 2-3 Emails verschickt. Wichtig zu bemerken ist, dass es sich um keine Newsletter handelte, sonder um Campaigning-Emails, also personalisierte Kommunikation auf Augenhöhe, die auf Dialog und Mobilisierung abzielten.

Die Rückmeldungen zeigten, dass die Message ankam. Auf jedes Email erhielten wir jeweils einige Hundert Antworten. Hier ein paar Beispiele dafür:

Die briefliche Abstimmung ist bereits erledigt und meine 20 Bekannten werden laufend mit Deinen Emails versorgt. Einige davon haben mir bestätigt, dass sie von anfänglichen BefürworterInnen zu GegnerInnen geworden sind! Gut, gell?

ich habe 105 mails verschickt!! Und meine Tochter hat morgen in der Schule (Gymi) eine Pro und Contra Runde zum Thema. Sie ist voll informiert und leidenschaftlich mit dabei!!!

Ich habe das Plansoll erfüllt und gegen 45 Bekannte und Freunde angesprochen.

Wie gross die Breitenwirkung dieser Community war, lässt sich nicht genau messen. Ein Anhaltspunkt war die Selbsteinschätzung der Aktivistinnen und Aktivisten, die in einer Umfrage angaben, durchschnittlich mindestens 12 Personen direkt ansprechen zu wollen. Nimmt man diese «Selbstdeklaration» als Anhaltspunkt hätten wir über Email rund 100’000 Menschen über private Kanäle für die Urne mobilisieren können.

Aus dieser Erfahrung denke ich, dass GOTV-Strategien in Zukunft für die Schweiz zum Standard werden. Gerade bei knappen Abstimmungen macht es Sinn, deutlich mehr Mittel in die Bottom-Up-Mobilisierungen zu investieren.

Disclaimier: Ich war an der Atomausstieg-Kampagne am Rande beteiligt mit der Plattform https://www.akw.fail, aber nicht in die Organisation eingebunden.
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Campaigning, Social Media

Fremdenfreundlichkeit statt Shitstorm

Die grellen Plakate gegen Ecopop hängen an jeder Ecke. Macht es Sinn, so zu klotzen? Ich bin skeptisch.

Die Kampagne mitdir.ch zeigt: es geht auch anders. Die Aktion fällt auf und berührt, weil Menschen und nicht Parolen im Zentrum stehen.

Getragen wird der «Lovestorm» von einer Community, welche die Website entwickelt hat, den Inhalt liefert und auch für die Verbreitung sorgt. Und alles mit viel Engagement, Knowhow und einem Budget von 0 Franken. Für mich ein Handbuch-Beispiel dafür, wie Kampagnen im Social Web funktionieren.

Mehr über die Kampagne im NZZ Blog.

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