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Lawine aus Bürglen: Bürgerpetition mit über 20’000 Unterschriften für Pfarrer Bucheli

In der Heimat von Wilhelm Tell wird Geschichte geschrieben. Das beschauliche Urner Dorf Bürgen trotzt dem mächtigen Bischof von Chur, Vitus Huonder, der den Dorfpfarrer Wendelin Bucheli abservieren will. Die geforderte «Demission» ist die Reaktion auf die Segnung eines lesbischen Paares.

Die Wogen gehen jetzt auch im Netz hoch. Über 10’000 Menschen haben in den letzten 24 Stunden eine Bürgerpetition unterzeichnet (aktueller Stand 20’2280, 12.02.15 22:30 Uhr). Eine gleich lautende SDA-Meldung haben in den letzten Stunden viele Schweizer Medien übernommen.

Wenig überraschend haben SDA und viele Redaktion kaum eine Ahnung, was für eine Welle durchs Netz rollt. Sonst wären keine Sätze zu lesen wie: «Die Initianten streben als nächsten Schritt 20’000 Unterschriften an, wie der Internetseite der Petition zu entnehmen ist.»

Die neue Zielzahl von 20’000 Unterschriften stammen nicht von dem anonymen Initianten Mike C., sondern von der voll automatisieren Avaaz-Plattform, auf der die Petition gestartet wurde. Avaaz ist eines der grössten globalen Kampagnen-Netzwerke, das weltweit nach eigenen Angaben über 41 Millionen Mitglieder hat. Die Nummer 1 unter den Kampagnenplattformen, Change.org, bringt es gar auf 88 Millionen Nutzer.

avaaz_Ch

In der Schweiz hat Avaaz mit verschiedenen Petitionen über 355’000 Email-Adressen gesammelt. Die riesige Datenbank übertrumpft selbst die grössten Schweizer NGOs und Parteien um das Vielfache. Die Bürgerpetitionen sind mittlerweile ein integraler Teil von Avaaz.

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Wucht dieser Web-Plattformen auch auf die Schweiz und das politische System durchschlagen wird. Die gut geölten Kampagnenmaschinen ermöglichen Einzelpersonen, die keinen etablierten Organisationen oder Parteien angehören, mit wenigen Klicks eine Online-Aktion zu starten, die mit etwas Glück einen Schneeballeffekt auslösen und rasch auf den Frontseiten landen kann.

Auf diese Weise werden Menschen, wie der bisher unbekannte Mike C, der die Avaaz-Petition «Bischof Vitus Huonder: Pfarrer Wendelin Bucheli muss in Bürglen, UR Schweiz bleiben» gestartet hat, über Nacht zum Kopf einer Protestbewegung von 20’000 Menschen.

PS: Lesenswerter Artikel zu Online-Petitionen aus der Tageswoche: «Erfolgreiches Polit-Engagement ist bloss einen Klick entfernt» (30.1.2015)

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Lovestorm für Fremdenfreundlichkeit: der neue Schweizer Exportschlager

Vorgestern in Dresden und gestern in Berlin: seit ein paar Tagen wirbelt ein Lovestorm durch Deutschland. Bereits haben Tausende on- und offline bei der Aktion «Mitdir» mitgemacht.

Hier eine Auswahl von internationalen Medienberichten:
www.stern.dewww.bbc.com, www.dw.de und www.rt.com.

Die Kampagne ist eine Reaktion auf die Pegida-Demonstrationswelle, die mittlerweile auch auf die Schweiz überzuschwappen droht. Gegen Pegida regt sich in Deutschland immer breiterer Widerstand. In fast jeder Stadt setzten bis zu zehnmal so viele Gegendemonstranten ein Zeichen gegen Rassismus und Ausgrenzung.

www.mitdir.org

Um eine Brücke von der Strasse ins Netz zu schlagen, hat das Kampagnen-Netzwerk AVAAZ das Projekt mitdir.org gestartet. Auf der Plattform zeigen Menschen mit Selfies ihr offenes und tolerantes Deutschland.

Avaaz_mitdir_Lovestorm_berlin_01

Bringt mit Mitdir.org auf die Strasse: AVAAZ-Aktion in Berlin 12.01.15

Hinter der Plattform steht ein Schweizer Kollektivprojekt. Die ursprüngliche Idee entstand 2014 als Reaktion auf die Masseneinwanderungsinitiative und auf Ecopop. In den letzten Monaten sind weitere Projekte in ganz Europa dazugekommen.

Crowdfunding-Inserat der Kampagne www.mitdir.ch

Crowdfunding-Inserat der Kampagne http://www.mitdir.ch

Die Mitdir-Kampagne fällt auf und berührt, weil Menschen und nicht Parolen im Zentrum stehen. Getragen wird der «Lovestorm» von einer Community, welche die Website entwickelt hat, den Inhalt liefert und auch für die Verbreitung sorgt. Für mich ein Handbuch-Beispiel dafür, wie Kampagnen im Social Web funktionieren.

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Pegida-Checker: Schluss machen mit falschen Freundinnen?

Die Pegida-Welle hat auch die Schweiz erreicht. Die Medien überschlagen sich mit Spekulationen darüber, wer alles dahinter steckt und ob es in der Schweiz einen Nährboden für eine fremdenfeindliche «Volksbewegung» gibt.

Zumindest auf Facebook gibt es klare Fronten und Zahlen: Die Pegida-Fanpage hat bereit 3’471 Fans. Aber auch die Gegnerschaft macht bereits mobil und hat bereits 5’429 Fans auf Facebook versammelt (Stand 12.1.15 19:15 Uhr).

Aus Deutschland kommt eine smarte Kampagnen-Idee: Der Facebook-Checker verrät mit einem Klick, wer aus dem eigenen Freundeskreis bei Pegida dabei ist. Ein Grund, die alten Schulfreunde oder Bürokolleginnen mal zur Rede zu stellen. Oder einfach Tschüss sagen und sie aus der Freundesliste löschen.

unfriend_me

Selbstredend liefert das simple Werkzeug keine Antwort darauf, was die richtige Strategie im Umgang mit Pegida ist – weder in Deutschland noch in der Schweiz. «Unfriend Me» ist vielleicht ein Kickoff, sich im eigenen Freundeskreis mit dem Thema auseinander zu setzen und bei Bedarf darauf auch zu reagieren.

Wer selbst schauen will, ob und welche Freundinnen sich für den Schweizer Pegida-Ableger begeistern: Hier der Facebook-Checker zum selber Ausprobieren.

PS: Danke an Marc Ehrich für die Bastelanleitung!

PS2: Auch eine Antwort auf Pegida: Der Schweizer-Kampagnen-Export www.mitdir.org. Mitmachen!

UPDATE 13. Januar 2015

In nicht ganz 24 Stunden haben über 1500 Menschen den Pegida-Checker getestet. Neben vielen Likes gab es auch heftige Kritik. Das Tool sei «undemokratisch», «stalinistisch» oder «ein Werkzeug für Ausgrenzung».

Da es mir ein Anliegen ist, eine breite Diskussion anzustossen, wer in der Schweiz bei Pegida mitmacht und was die Gründe dafür sind, habe ich darauf reagiert. Seit ein paar Minuten ist die Website «Flausch statt Pegida» online. Sie kämpft mit etwas anderen Mitteln für das gleiche Ziel 😉

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Top 5 Blogs 2014

Hey liebe Leserin und lieber Leser, 2014 war ein Rekordjahr! Ihr habt meinen Blog grafmix 2014 über 4’800 mal besucht. Vielen Dank, besonders auch für die kritischen Kommentare.

Hier die offizielle Top 5 Liste aus 18 Beiträgen im Jahr 2014.

  1. Manöverkritik: Crowd-Campaigning zur Gripen-Abstimmung (Mai 2014)
  2. Der Social Media-Hype oder fünf gute Gründe, weshalb Unternehmen die Finger von Social Media lassen sollten (
  3. Campaigning Summit Zurich 2014: 10 Erfolgsfaktoren für Community-Kampagnen (
  4. Selfie, Sex und Politik: Anmerkungen zum «Fall Geri Müller» (
  5. Retweet the story and your mind will follow: Die Hashtag-Kampagne «#bringbackourgirls» und die entführten Mädchen in Nigeria (Mai 2014)

PS: Mein All-Time-Favorite bleibt «Wir Hacker-Kids von der Bahnhofstrasse» (Mai 2012).

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Email-Mais im Bundeshaus

Heute hat Solidar Suisse eine für die Schweiz neuartige Kampagne gestartet. Die Mitglieder der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrates (APK-N) haben in den letzten Stunden über 1000 Emails erhalten.

APK-N

Absender sind BürgerInnen, die bestürzt darüber sind, dass das geplante Freihandelsabkommen mit China die Menschenrechte ausklammert. Das Wort «Menschenrechte» sucht man vergeblich in den über 1000 Seiten des Vertragstextes. Die Parlamentarier der APK-N diskutieren am Montag 21. Oktober 2013 über das Freihandelsabkommen. Bisher deuten alle Anzeichen darauf hin, dass der umstrittene Vertrag geräuschlos durchgewunken wird.

Solidar_Clip

Interessant ist die Mechanik, die hinter der Kampagne steht. Für Aufmerksamkeit sorgt, wie bereits bei anderen Kampagnen, ein witzig gemachter Youtube-Clip. Der Still ist darauf ausgelegt, dass das Video möglichst oft via Social Media geteilt wird und so BesucherInnen auf die Website Solidar Suisse bringt.

Die Neuheit verbirgt sich hinter der Website. Ein Modul verschickt automatisch an alle Nationalräte der APK-N persönlich adressierte Emails. Die Absender können dazu den vorgeschlagenen Text frei anpassen.

Solidar

Es ist meines Wissens das erste Mal, dass Schweizer ParlamentarierInnen die Wucht einer Empörungswelle zu spüren bekommen. Im Gegensatz zu organisierten Protesten via Facebook und Twitter treffen Emails das Rückgrat der Alltagskommunikation. Einige Hundert Emails im Sekundentakt reichen aus, um ein Postfach komplett zu fluten.

Kein Wunder also, dass sich die betroffenen Parlamentarier als Opfer eines «Shitstorms» betrachten. Ein überquellendes Postfach ist keine Freude. Das Abarbeiten kosten Zeit und Nerven. Gleichzeitig handelt es sich bei den Absendern der Solidar-Aktion nicht um einen anonymer Mob, sondern um – zum grossen Teil vermutlich wahlberechtigte – Bürgerinnen und Bürger, die sich mit vollem Namen und Email-Adresse für ein Anliegen stark machen.

Ich bin gespannt, wie die PolitikerInnen auf die Email-Welle reagieren, zumal sich die Absender explizit «über eine Antwort freuen» würden, wie es im Standard-Text heisst.

UPDATE 17.10.13 21:56

Solidar Suisse hat vor kurzem die Email-Aktion an die ParlamentarierInnen beendet. Insgesamt wurden 1’017 persönlich andressierte Emails an die Mitglieder der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats verschickt (APK-N). Die Botschaft sei angekommen, schreibt Solidar Suisse.

Solidar_Update

UPDATE 19.10.13

Neben der Tagesschau berichtete auch der Blick über die 1000-Email-Aktion und titelte «Spam-Terror wegen Freihandelsabkommen». Bürgerlichen PolitikerInnen wie Kommissionspräsident Andreas Aebi, die für das umstrittene Freihandelsabkommen sind, beschwerten sich über die kontraproduktive Aktion für die Menschenrechte. Wer dem Geschäft kritisch gegenübersteht, wie die St. Galler Nationalrätin Claudia Friedl, zeigte durchaus Sympathie für die Aktion.

Sicher ist: Eine  Email-Welle muss gezielt und sparsam eingesetzt eingesetzt werden. Sie gehört nicht zu den Standardmassnahmen für Campaigning.

UPDATE 22.10.13 14:02

Die Kommission winkt das umstrittene Freihandelsabkommen durch: Mit 14 zu 6 Stimmen  hat sich die APK-N für die Genehmigung des vom Bundesrat ausgehandelten Abkommens ausgesprochen. Mit 15 zu 6 Stimmen  abgelehnt wurde der Antrag, den Bundesbeschluss dem fakultativen Referendum zu unterstellen. (Quelle: Medienmitteilung).

Disclaimer: Ich habe bei dieser Kampagnen nicht mitgearbeitet. Meine letzte Online-Aktion für Solidar Suisse war der FIFA-Hack.

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