Die BAZ verteilt neuerdings Preise für Abstimmungs-Kampagnen. Als überraschender Favorit im Hause Somm gilt die umstrittene RTVG-Nein-Kampagne des Gewerbeverbandes.
Das Meisterstück ortet die BAZ in der cleveren Medienkampagne, die ganz frontal auf Provokation setzt und den Gewerbeverband als «Partei und streitbar» positioniert.
Bevor der Lesende laut klatscht, möchte er jetzt aber wissen, wer der brilliante Stratege hinter der Gewerbeverband-Kampagne ist. Hier weiss BAZ-Journalist Beni Gafner, der zweifellos über erstklassige Insider-Informationen verfügt, erstaunliches zu berichten.
Stimmt das? Ein kurzer Blick in den HTML-Code der Kampagnen-Website zeigt, dass die Agentur GOAL dahinter steckt. Die Kampagnenbilder verweisen auf die Website «devlop14.goal-center.ch», welche auf einen gewissen Alexander Segert eingetragen ist.
Der Kopf der SVP-Agentur GOAL ist der Schöpfer berühmt-berüchtigter Kampagnen: das gerupfte Huhn, die rote Ratte, das schwarze Schaf, der Messerstecher, die Minarett-Raketen. Für seine Geniestreiche erhielt Segert bisher keine Preise, sondern musste sich vor Gericht verantworten.
Warum verheimlicht Gewerbeverbands-Direktor Hans-Ulrich Bigler den Kopf hinter der RTVG-Kampagne? Aus Eitelkeit? Kaum. Bigler hat – auch als Mitglied der FDP-Mannschaft – ein simples Reputationsproblem: an den Kampagnen von GOAL klebt Dreck.
Wer die SVP-Agentur GOAL ins Boot holt, weiss was er will und geliefert bekommt: Hetzerische und aggressive Schockkampagnen aus der untersten Schublade der Kreativbranche. Auch der mediale Shitstorm gehört zum Lieferumfang und ist als Gratis-Multiplikator fest eingeplant.
Bigler hat wohl die GOAL-Rechnung grosszügig aufgerundet und von Alexander Segert eine Vertraulichkeitserklärung unterzeichen lassen. So ist es gefahrlos möglich, in der Öffentlichkeit Kommunikationschef Bernhard Salzmann, Verbandspräsident Nationalrat Jean-François Rime (SVP) und sich selbst als kreatives Kampagnen-Dreamteam zu präsentieren.
Offenbar hat Bigler eine Grundregel der Kampagnenarbeit vergessen: Den brauen Dreck an den Sohlen sieht man spätestens, wenn einer über den roten Teppich läuft.
Eine kleine Premiere heute: Mein erstes Skype-Interview für die TV-Sendung «Kulturzeit» auf 3Sat. Ich wurde um meine Einschätzung gebeten, ob Selfies als Kampagnenmittel im Kampf gegen Extremismus funktionieren.
Konkret ging es um das Projekt einer Gruppe Studenten an der Hochschule Ravensburg-Weingarten. Sie erfanden das 2fie. Ein Selfie von Menschen unterschiedlichen Glaubens, versehen mit einer persönlichen Toleranzbotschaft.
Zum ersten Mal kann in der Schweiz eine Volksinitiative online unterzeichnet werden. Für die Konzernverantwortungsinitiative sammelt Amnesty International mit dem «eCollector», den ich zusammen mit Liip entwickelt habe, Unterschriften im Internet. Mit Erfolg: Gerade mal zwei Stunden nach der Lancierung hatten bereits über 1’000 Personen unterzeichnet. Was hinter den Kulissen läuft erfahrt ihr im folgenden Interview, das Joël Bisang mit mir geführt hat.
Heute wurde der «eCollector» lanciert, worum geht es?
Daniel Graf: Der eCollector ist ein Tool, das Organisationen und Initiativkomitees eine einfache Online-Sammlung von Unterschriften für Volksinitiativen und Referenden erlaubt. Man könnte sagen, wir bieten den bequemsten Weg, um rasch eine Initiative im Netz zu unterschreiben.
Wer ist «wir»?
Der «eCollector» ist ein Gemeinschaftsprojekt von gamechanger und der Webagentur Liip. An der Entwicklung waren darüber hinaus verschiedene engagierte Personen beteiligt, die sich für politische Partizipation einsetzen. Die Lancierung des eCollector erfolgte in Zusammenarbeit mit Amnesty International anlässlich der Konzernverantwortungsinitiative, die alle Unternehmen mit Sitz in der Schweiz zu einer Sorgfaltsprüfung im Bereich Menschenrechte und Umwelt verpflichten will.
Die Erhöhung der Unterschriftenzahl für Volksinitiativen auf 200’000 ist ein heisses Thema. Leistet der eCollector den Befürwortern Vorschub?
Ich denke, wir sollten keine Angst vor einer Facebook-Demokratie und vor stärkerer politischer Partizipation haben. Selbstverständlich kann man darüber diskutieren, ob die heutige Unterschriftenzahl adäquat ist. Eine lebendige Demokratie darf aber nicht auf Ausschluss setzen, wenn sie die nächste Generation im Boot haben will.
Was hat euch auf die Idee für den eCollector gebracht?
Viele Organisationen, Parteien und NGO wie Amnesty International verfügen heute über eine breite Online-Kontaktbasis und auch im Netz über treue AktivistInnen, die beispielsweise regelmässig Online-Petitionen unterstützen. Dieses Potenzial wollten wir nutzen. Aus der Praxis ist zudem bekannt, dass – bedingt durch den Aufwand – nur wenige Menschen ein PDF herunterladen, es ausfüllen und zurückschicken. Das gilt insbesondere dann, wenn sie unterwegs sind und die Informationen auf dem Smartphone erhalten.
Der eCollector ist eine Art Web-Plattform. Was steckt dahinter?
Der eCollector nutzt erstmals die Möglichkeit, persönliche Daten für einen personalisierten Unterschriftenbogen zu verwenden. Das heisst, wer eine Initiative oder ein Referendum online unterschreiben will, erhält per E-Mail ein automatisch erstelltes PDF, in dem die benötigten persönlichen Angaben (Vorname, Adresse, Geburtsdatum) bereits eingefüllt sind. Sie oder er braucht nur noch den Nachnamen anzugeben und zu unterschreiben, anschliessend kann das Dokument ausgedruckt und zurückgeschickt werden. Rechtlich ist es so, dass bei nationalen Initiativen Nachname und Unterschrift zwingend handschriftlich angegeben werden müssen.
PDF in der Mailbox klingt gut. Aber was machen Leute, die unterwegs sind oder keinen Drucker haben?
Wer will kann sich mit dem eCollector das ganze Paket per Post, sozusagen analog, nach Hause schicken lassen und dann den unterzeichneten Unterschriftenbogen zurückschicken. Erste Erfahrungen mit der Amnesty-Initiative zeigen, dass rund 10 Prozent diesen Postservice in Anspruch genommen haben.
Bis jetzt werden Unterschriften auf der Strasse gesammelt. Welche Vorteile bietet das Netz?
Kampagnenaktivitäten im Netz können mit dem eCollector direkt an eine Unterschriftensammlung gekoppelt werden. Mitglieder und SympathisantInnen einer Organisation haben also die Möglichkeit, im Netz aktiv Unterschriften zu sammeln. Nicht zuletzt vergrössert der eCollector dank einem Schneeball-Effekt auch die Kontaktbasis einer Organisation. Wer unterschreibt kann andererseits selber eine Multiplikatoren-Rolle spielen, indem er oder sie die eigenen Online-Kontakte nutzt, um weitere Unterschriften zu sammeln.
Fehlt im Netz nicht die Möglichkeit des direkten Gesprächs, um Skeptiker zu überzeugen?
Interessierte finden auf der eCollector-Website kurze und knappe Informationen zum Anliegen der Initiative. Amnesty International hat zusätzlich ein Informationsvideo produziert, dass in zwei Minuten alles erklärt. Darüber hinaus ist die Kontaktpflege ein Grundprinzip des eCollector. Per E-Mail wird nachgefasst, weil wir davon ausgehen, dass Empfänger oft beschäftigt sind, wenn die erste Mail mit dem Unterschriftbogen bei ihnen eintrifft.
Steht der eCollector allen Organisationen offen?
Im Prinzip ja, eine Art Lizenzierungsmodell ist in Planung. Technisch ist das Tool so gestaltet, dass parallel mehrere Unterschriftensammlungen gleichzeitig möglich sind. Sammelaktionen können darüber hinaus kurzfristig lanciert werden, denn gerade bei Referenden ist die ja jeweils Zeit knapp.
Wenn es heute darum geht, neue Produkte und Dienstleistungen zu lancieren oder ein Projekt zu finanzieren lautet das Zauberwort: Crowdfunding. Doch was versteht man genau darunter und wie funktioniert Crowdfunding überhaupt? Welches sind die Schlüsselfaktoren für eine erfolgreiche Crowdfunding-Kampagne? Und wie lassen sich typische Fehler vermeiden?
Babette van Merkesteyn von der Crowdfunding-Plattform 100-days.net und Kampagnenspezialist Daniel Graf, Gründer von gamechanger.ch, geben im Webinar von Versity Tipps und Tricks aus der Praxis weiter. Nachfolgend findet ihr das Transcript in gekürzter Fassung.
Daniel Graf: Babette – wie würdest du Crowdfunding erklären?
Babette van Merkesteyn: Crowdfunding lässt sich auf Deutsch mit «Schwarmfinanzierung» übersetzen. Die Finanzierung eines Projektes erfolgt dabei, wie der Name schon sagt, durch mehrere Personen und mittels verschiedener grösserer und kleinerer Beiträge. Crowdfunding eignet sich für die unterschiedlichsten Projekte und Geschäfts- oder Produktideen. Allerdings ist die Finanzierung nur ein Aspekt des Ganzen. Durch Crowdfunding können beispielsweise auch Produkte oder Dienstleistungen vorab am Markt getestet oder einem grösseren potenziellen Kundenkreis vorgestellt werden. Auch lassen sich mittels Crowdfunding die Bedürfnisse möglicher Kunden erkennen.
Crowdfunding als Kampagne
Daniel: Ein wichtiger Aspekt von Crowdfunding ist auch das Campaigning. Campaigning heisst in diesem Fall: Menschen dazu zu bewegen, ein Projekt zu unterstützen. Soll ein Crowdfunding-Projekt zum Erfolg führen, braucht es die Aufmerksamkeit eines wachsenden Publikums. Ziel ist, dass jeder Spender in seinem persönlichen Umfeld zum Multiplikator wird.
Babette: Wie lässt sich ein Publikum gewinnen?
Daniel: Ich empfehle, vor dem Start eine Dramaturgie festzulegen. Als Faustregel gilt: Es braucht einen Start mit Pauken und Trompeten, prickelnde Zwischensprints und einen fulminanten Schlussspurt.
Babette: Besonders wichtig ist für einen gelungenen Start auch eine Liste mit Telefonnummern und E-Mail-Adressen der 50 besten Freunde. Für die Verbreitung über engen Kreis hinaus helfen Social Media-Kanäle. Gerade wenn es darum geht, die Leute über das laufende Projekt zu informieren und Inhalte anzubieten, die weiter geteilt werden können.
Gute Geschichten erzählen
Daniel: Crowdfunding-Projekte brauchen eine attraktive Verpackung. Denn letztlich entscheiden die Informationen darüber, ob sich Spender für das Projekt begeistern lassen. Die Beschreibung des Projektes sollte knapp gehalten und personifiziert sein. Der Absender muss klar erkennbar sein.
Babette: Um die Mund-zu-Mund-Propaganda in Gang zu setzen, hilft erfahrungsgemäss eine Projekt-Geschichte, die sich leicht weitererzählen lässt. Je länger man sich mit einem Projekt auseinandersetzt, desto schwieriger wird es in der Regel, kurz und knapp zu sagen, um was es überhaupt geht. Ein Projekt in paar leicht verständlichen, eingängigen Sätzen zu erklären, ist jedoch das A und O – auch in Sachen Crowdfunding.
Daniel: Wenn dies schwer fällt, hilft oft der «SBB-Trick». Man muss sich folgendes vorstellen: Du willst einem Freund etwas zurufen, der gerade in eine S-Bahn steigt. Du weisst, die Türe ist noch zehn Sekunden offen. Was rufst du? Probiere diese Übung ein paar Mal aus und du wirst automatisch die wichtigsten Botschaften aus einer Geschichte herausfiltern. Anschliessend brauchst du nur noch an den Sätzen zu feilen und einen kurzen, knackigen Titel zu suchen.
Goodies: Gib etwas zurück!
Babette: Oftmals ist Crowdfunding auch ein Tauschgeschäft. Wer ein Projekt finanziell unterstützt, wird direkt am Erfolg beteiligt und erhält eine Gegenleistung. Beim Festlegen dieser Belohnungen sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt. Je kreativer und partizipativer eine Belohnung ist, umso attraktiver wird sie. Zentral ist auch die Exklusivität.
Daniel: Ich empfehle, die Zahl der Gegenleistungen auf vier bis sechs gestaffelte Angebote zu beschränken, um für kleine und grosse Budgets etwas zu bieten, aber die Entscheidung zugleich nicht unnötig zu erschweren. Selbstredend darf der gesamte Aufwand für die Gegenleistungen nur einen kleinen Teil der Spende ausmachen, damit sich das Crowdfunding auch lohnt.
Projekt-Video: «Clip it or leave it!»
Daniel: Das Herz einer Crowdfunding-Kampagne bleibt das Pitch-Video. Es ist die Bühne, auf welcher der Projektinitiator in 2 bis 3 Minuten packend, authentisch und transparent erklären kann, wer er oder sie ist, woher die Idee stammt, was die Motivation hinter dem Projekt ist und weshalb es Unterstützung verdient. Die Chance für eine Verbreitung steigt massiv mit dem Unterhaltungswert und der Aktualität des Clips.
Babette: In erster Linie ist es wichtig, dass das Video unterhaltsam ist. Es müssen nicht immer alle Punkte in einem Video aufgegriffen werden. Einer meiner Favoriten ist der Clip «Emma macht mobil»
Jeden Tag rennen – bis zum Ziel
Babette: Ziel ist es, jeden Tag etwas für das eigene Projekt zu machen. Jeden. Tag. Und sei es nur, jemandem vom eigenen Projekt zu erzählen, News zu schreiben, Posts zu schreiben, Medien anzugehen usw. Auf keinen Fall während einer Kampagne in die Ferien verreisen und davon ausgehen, dass es dann schon klappen wird.
Daniel: Der Knackpunkt ist bei vielen Projekten die fehlende Öffentlichkeit. Die Netzwerke der Initiatoren sind oft zu klein, um in einem kurzen Zeitraum die angepeilten Budgets zu erreichen. Reichweite lässt sich am effizientesten mit klassischen Medien erzielen. Viele Projekte haben das Potenzial für eine gute Story – wie Beispiel das Startup Captain Plant.
Babette: Zusätzliche Publizität erreicht man auch mit altbekannten Offline-Massnahmen, etwa: Poster, Sticker oder Flyer im Quartier, an der Uni oder in Kneipen aufhängen. Als Beispiel zeige euch hier unser Marketing-Set für Kampagnen, die über 100-days.net laufen.
Die Leute bei der Stange halten
Daniel: Infos im Netz haben eine brutal kurze Halbwertszeit. Ein Tweet überlebt selten mehr als eine halbe Stunde. Facebook-Posts vielleicht ein paar Stunden. Was gestern hot war, ist heute kalter Kaffee. Gerade auf Social Media. Weil das Interesse der Community rasch nachlässt sind regelmässige Updates im Projekt-Blog sehr wichtig.
Babette: Dank einer Studie der HTW Chur wissen wir bei 100-Days, dass Projektinitianten, die in 100 Tagen mindestens 16 News publizieren eine 10-mal höhere Erfolgschance haben. Es geht also darum, die Spender mit News bei der Stange zu halten und sie über die Entwicklung des Crowdfunding-Projekts zu informieren. Das gilt auch, wenn das Projekt erfolgreich finanziert ist und umgesetzt wird. Eure Geldgeber sind Eure zukünftigen Kunden!
Daniel: Unterstützer zahlen nicht nur, sondern geben Euch auch Feedback und Impulse. Eine erprobte Variante, um das Publikum stärker einzubinden, ist es, ihm Fragen zu stellen, was man für den Erfolg des Projekts noch alles tun könnte. Dadurch wächst die Support-Community, die sich für den Erfolg des Projektes engagiert.
Next step: Crowdfunding Workshop
Babette: Wir hoffen, euch ein paar Tipps mit auf den Weg gegeben zu haben und euer Interesse an Crowdfunding geweckt zu haben. Mehr zum Thema erfahrt ihr in unserem Webinar auf Versity (LINK).
Daniel: Weitere Praxis-Tipps gibt es auch in unserem Workshop «Crowdfunding: Finanzierung mit Schneeballeffekt», der im Rahmen des Campaign Summit Switzerland am Donnerstag 12. März von 17.00 bis 19.00 Uhr stattfindet. Für Interessierte haben wir noch fünf Gästetickets. Meldet euch bitte bei mir.
Crowdfunding: 5 Top-Learnings
Zum Abschluss noch eine Liste mit den fünf wichtigsten Praxis-Tipps von Daniel und Babette:
Crowdfunding erfordert Leidenschaft und Ausdauer in eigener Sache.
Eine Kampagne braucht eine gute Vorbereitung, sowohl für die Online- als auch für die Offline-Kanäle.
Erzählt eine einmalige Geschichte, die Interesse weckt und den Leuten Lust macht, das Projekt zu unterstützen.
Gebt etwas zurück! Nehmt euch Zeit, um über attraktive und kreative Gegenleistungen für die Unterstützer nachzudenken.
Die Krönung ist ein packendes Video. Plant auf jeden Fall genug Zeit dafür ein.
Kevin Luximon: Ein wichtiger Faktor ist die Möglichkeit, mit Social Media verstärkt vom wirksamen Mechanismus der Mund-zu-Mund-Propaganda zu profitieren. Dies ist besonders effizient im Falle von Menschenrechts-Krisen, über die die Medien breit berichten. Mittels Crowd-Kampagnen machen wir unsere Unterstützer zu Multiplikatoren und erreichen so Zielgruppen, zu denen wir sonst keinen Zugang hätten.
Lohnt sich der zusätzliche Aufwand, eine Kampagne über alle Kanäle zu verbreiten?
Wir haben festgestellt, dass die crossmedialen Kampagnen rentabler sind: Rund jede zehnte Person, die sich an einer Kampagne beteiligt, engagiert sich auch als «Botschafter» und mobilisiert ihr eigenes Netzwerk. Diese engagierte Gruppe ist treurer und hat die höchste Spendenaffinität.
Ist dieses ein langfristiger Trend?
Das Online-Fundraising ist der Wachstumsmotor der Branche. In den USA haben die Spenden für NPO im Jahr 2012 und 2013 insgesamt rund 1.5 Prozent zugelegt. Das Wachstum nur bei den Online-Spenden betrug 10 Prozent. Hier zeigt sich, dass die Spenden im Netz – vergleichbar mit dem Online-Shopping – weiter zulegen. In Europa zeichnet sich die gleiche Entwicklung ab.
Hat der Briefkasten ausgedient?
Nein, das Mailing ist überhaupt nicht tot, das neue Erfolgsrezept liegt in der Bündelung aller Kanäle. Studien aus den USA belegen, dass die Spenderbindung mit klassischen Massnahmen wirksamer bleibt als im Internet. Auch wer online spendet, bleibt einer Organisation treuer, wenn er weiterhin Post bekommt. Umgekehrt verlieren wir mit crossmedialer Kommunikation auch weniger klassische Spender und erhöhen ganz allgemein die Zufriedenheit unserer Unterstützer.
Gilt das für alle Altersgruppen?
Bei Amnesty International fokussieren wir im Online-Fundraising auf die Altersgruppe 30 bis 45 Jahre. Diese Gruppe ist mit traditionellen Fundraising-Methoden schwierig zu erreichen. Die Praxis hat gezeigt, dass ihre Mitglieder eher eine Petition unterwegs auf dem Smartphone unterzeichnen und abends zu Hause eine Online-Spende machen.
Ändern sich auch die Inhalte?
Ja, wir mussten unsere Strategie anpassen. Diese Zielgruppe interessiert sich stärker für die Themen und die Zielsetzung einer Kampagne. Die allgemeinen Werte, für die eine Organisation steht, stehen weniger im Zentrum. Diese Verlagerung zwingt uns, mehr und laufend über den Stand der Projekte und die Verwendung der Spendengelder zu informieren. Statt «Bindung» geht es verstärkt um «Verbindung» zu den Spendern, die mit uns im Idealfall von überall her und jederzeit in Kontakt treten können.
Spenden die Menschen im Netz grössere oder kleinere Beträge?
In meiner Erfahrung ist die erste Spende im Netz im Durchschnitt rund 20 Euro höher als offline. Bei Mehrfachspenden fällt dies längerfristig stark ins Gewicht. Darüber hinaus ist das angesprochene Publikum im Netz jünger als auf den traditionellen Kanälen. Das Potenzial für zukünftige Spenden ist deshalb sehr vielversprechend.
Wie machen Sie Unterstützer zu Spendern?
Wenn wir Telefonnummern haben, ist Telemarketing eine erprobte Strategie. In der Praxis zeigt sich, dass unsere Kontakte aus Kampagnen eine deutlich bessere Qualität haben, als gekaufte Adressen. Bei der Amnesty-Kampagne zu den Olympischen Spielen in Sotchi 2014 war der «Return on Investment» im Vergleich mehr als doppelt so hoch.
Wie lange laufen Online-Kampagnen?
Ist der öffentliche Teil einer Kampagne vorbei, fängt unsere Arbeit erst an! Ist der Erstkontakt zu Unterstützern einmal hergestellt, müssen wir über Monate passende Inhalte zusammenstellen, um die Geschichte der Kampagne weiter zu erzählen. Hilfreich ist, wenn das «Storytelling» bereits bei der Entwicklung der Kampagne mitgedacht wird. Dazu gehört ein attraktives Angebot, mit dem um eine zweite Spende gebeten werden kann.
Was sind für Sie die grössten Herausforderungen?
Schaffen wir es, in der Informationsflut sichtbar zu bleiben? Wer heute auf Facebook ist, erhält mehr als 1’500 Beiträge pro Tag. Diese Menge wird mit automatischen Filtern reduziert. Wir müssen Sorge tragen, dass unsere News relevant bleiben und wir auf der anderen Seite auch ankommen. Dabei hilft das klassische Fundraising-Handwerk: Differenzieren, überzeugen und binden.
Über den Autor: Daniel Graf
Daniel Graf (41) ist kreativer Kommunikationsstratege und Gründer von gamechanger.ch. Er unterstützt NPO, Behörden und Unternehmen in der Planung und Umsetzung crossmedialer Kampagnen, in der Medienarbeit sowie im Bereich Public Relations. Seine langjährigen Praxiserfahrungen als Mediensprecher von Amnesty International, Strategieberater der Webagentur Feinheit und als Geschäftsführer der Grünen Partei Zürich gibt er auch als Dozent und Speaker weiter. Im Mai 2015 organisiert er das erste «Campaign Bootcamp» in der Schweiz. An der sechstägige Weiterbildung lernen die Teilnehmenden, wie erfolgreiche, zivilgesellschaftliche Kampagnen entwickelt und durchgeführt werden.