Campaigning, Digitale Demokratie, Menschenrechte, Netzpolitik, Social Media

Chaotischer Pluralismus: Wie Crowd-Kampagnen unsere Demokratie auf den Kopf stellen

Wie kann die Zivilgesellschaft effizienter und mit Erfolg dazu beitragen, die Demokratie weiter zu entwicklen? Diese Frage beschäftig mich gerade. Auf Einladung von LevizAlbania nehme ich an der «Woche der lokalen Demokratie» teil, die in Tirana statt findet und von der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA unterstützt wird.

In meinem Workshop «How to run a campaign and win it» werde ich auch über ein Phänomen sprechen, das als «Crowd-Kampagne» beschrieben werden könnte. Träger dieser neuen Art von Mobilisierung sind spontane Netzwerke von Einzelpersonen, die sich jenseits von Parteien, Verbänden und Organisationen im Internet bilden, um gemeinsam politische Projekte zu unterstützen.

Die Folge von Crowd-Kampagnen sind ein «chaotischen Pluralismus», der unseren politischen Alltag verändern wird. Bei diesem «chaotischen Pluralismus» handelt es sich um einen Begriff, mit dem britische Wissenschaftler die Auswirkungen der sozialen Medien auf demokratische Systeme beschreiben, die durch die Nutzung digitaler Kanäle pluralistischer werden, was zugleich einen Wandel der politischen Akteure mit sich bringt. Sie sind nicht mehr nur in stabilen Interessengruppen organisiert, vielmehr handelt es sich vermehrt um lose Gruppierungen, die sich spontan durch Mobilisierung im Internet herausbilden.

Das beliebteste Werkzeug, um Crowd-Kampagnen zu starten sind Petitionen. Bereits in den 1990er Jahre wurde das Internet eingesetzt, um für Petitionen Unterstützerinnen und Unterstützer zu mobilisieren. Das traditionelle politische Instrument ist direkt in den virtuellen Raum übertragbar, da das Petitionsrecht in den meisten Ländern viel Spielraum hinsichtlich der Art und Weise der Eingabe und der dazu berechtigten Personen lässt. So können sich Nicht-Wahlberechtigte ebenso wie Kinder oder die ausländische Wohnbevölkerung an Petitionen beteiligen. Als Beleg sind keine Unterschriften nötig. Namen oder auch nur E-mail-Adressen genügen, da keine Nachprüfung erfolgt. In Ländern wie Deutschland und in Grossbritannien ist es heute sogar möglich, Online-Petitionen über offizielle Plattformen einzureichen.

Ein eigentlicher «Petitions-Boom» ist trotz den vielfältigen Möglichkeiten und niedrigen Hürden jedoch erst in den letzten Jahren zu beobachten, wobei Social Media-Kanäle wie Facebook und Twitter die Hauptrolle spielten. Die Möglichkeit der viralen Verbreitung erlaubt es, schnell und zu tiefen Kosten Unterstützerinnen und Unterstützer zu finden. Neue Petitions-Werkzeuge wie ActionSprout sind in Facebook eingebettet und helfen, die virale Wirkung der Plattform besser auszunutzen.

Trendsetter dieser Entwicklung sind internationale Plattformen wie Avaaz.org oder Change.org. Letztere hat nach eigenen Angaben über 135 Millionen Mitglieder weltweit und ermöglicht es Einzelpersonen, Petitionen in wenigen Minuten ins Internet zu stellen und in Zukunft auch Spenden zu sammeln. Mit jeweils einigen hunderttausend E-Mail-Kontakten in der Schweiz verfügen Change.org und Avaaz.org vermutlich über eine grössere E-Mail-Datenbank als alle Schweizer Parteien zusammen.

Petitionen sind oft ein Gradmesser dafür, wie Themen und Lösungsansätze in den Medien und in den Öffentlichkeit aufgenommen werden. Darüber hinaus erlaubt die Online-Sammlung den Aufbau von Adress-Datenbanken, die für weitere Projekte genutzt werden können. Insbesondere Nichtregierungsorganisationen setzen Petitionen als Marketinginstrumente ein, um Mitglieder oder Spenden zu werben. In diesem Sinne sind Petitionen – über die Wirkung auf das politische System hinaus – einen wichtigen Baustein, um eine effiziente und schlagkräftige Zivilgesellschaft herauszubilden und die Demokratie weiter zu entwickeln.

Eine Anmerkung zur Schweiz: In der direkten Demokratie spielen Petitionen eher eine geringe Rolle. Mit Volksinitiativen und Referenden auf kommunaler, kantonaler und nationaler Ebene stehen wirksamere Werkzeuge zur Verfügung, die in direkter Konkurrenz zu Petitionen stehen, gerade wenn es darum geht ein Thema auf die politische Agenda zu setzen und die Stimmbevölkerung darüber entscheiden zu lassen. Doch die Digitalisierung der direkten Demokratie lässt auf sich warten. Deshalb habe ich wecollect.ch aufgebaut. Auf der Online-Plattform wurden bereits über 130’000 Online-Unterschriften für Initiativen und Referenden gesammelt.

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Digitale Demokratie

Digitalisierung der Politik: Chance oder Ende der Demokratie?

Die parlamentarische Gruppe Digitale Nachhaltigkeit hat mich als Gründer der Polit-Plattform wecollect.ch eingeladen, über das Thema digitale Demokratie zu sprechen. Ein Podiumsgespräch mit Prof. Dr. Abraham Bernstein, Adrienne Fichter, Dr. Markus Christen und mir soll ausloten, welche Chancen und Risiken mit der Digitalisierung der Demokratie verbunden sind.

Der 8. März scheint mir ein passender Tag, um über die digitale Demokratie zu sprechen. Der Weltfrauentag erinnert in der Schweiz stets an die lange hinausgezögerte Einführung des Frauenstimmrechts und damit an eine paradoxe Schwachstelle der direkten Demokratie: den restriktiven Zugang zur politischen Partizipation. Rund ein Viertel der Wohnbevölkerung ist heute noch – wegen den rigiden Einbürgerungsverfahren – von der politischen Mitgestaltung ausgeschlossen.

Eine ähnliche systembedingte Resistenz zeigt sich bei der Einführung der digitalen Demokratie. Die offizielle Schweiz hat es gar nicht eilig, die Chancen der technologischen Entwicklung zu nutzen, um die politische Partizipation zu fördern und zu vertiefen.

Beispielhaft dafür steht das Thema e-Collecting, das in der politischen Diskussion höchstens eine Fussnote war. Die Sammlung von Unterschriften im Internet hat für den Bundesrat und für das Parlament keine Priorität. Diese Haltung ist nicht nachvollziehbar, geht es doch um die «Kronjuwelen» der direkten Demokratie: die Volksinitiative und das Referendum.

Wie Demokratie auf dem Smartphone aussehen könnte, zeigt unser Projekt wecollect.ch. Die Plattform ermöglicht es, Unterschriften im Internet viraler, schneller und kostengünstiger zu sammeln. In nur elf Monaten wurden auf wecollect.ch über 100’000 Unterschriften für fünf nationale Volksinitiativen und zwei Referenden gesammelt.

Die Rücklaufquote ist bei wecollect.ch mit über 50 Prozent sehr hoch für die «Briefkasten-Demokratie», die weiterhin eine handschriftliche Unterzeichnung und Einsendung auf dem Postweg vorschreibt. Für die laufende Volksinitiative für vier Wochen Vaterschaftsurlaub, die im Sommer eingereicht wird, stammt voraussichtlich jede fünfte Unterschrift aus dem Internet.

Die rege Nutzung der Plattform wecollect.ch zeigt: Die Nachfrage nach neuen, digitalen Partizipationsmöglichkeiten ist vorhanden. Vielleicht sollten die Bürgerinnen und Bürger nicht länger auf den Bundesrat und das Parlament warten. Ich bin überzeugt, dass ein Impuls von Seiten der Zivilgesellschaft nötig wäre, um eine Debatte über die Digitalisierung der Demokratie anzustossen. Zu prüfen wäre auch, ob eine Volksinitiative die Rolle eines Katalysators übernehmen könnte.

Sicher ist: An einer «neuen» Demokratie-Bewegung beteiligt sich auch wecollect.ch. Die Plattform wurde bisher meist als «Unterschriften-Automat» (NZZ) wahrgenommen. Hinter dem Projekt steht jedoch eine Community-Idee: Mit wecollect.ch sollen Menschen zusammengebracht werden, für die die digitale Demokratie heute eine Selbstverständlichkeit ist. Aktuell umfasst die Community rund 15’000 Stimmbürgerinnen und Stimmbürger, die bereits eine Initiative oder ein Referendum auf wecollect.ch unterstützt haben. Die «early adopter» sind eine gute Basis, um jetzt den nächsten Schritt zu wagen und mehr Demokratie einzufordern.

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Campaigning, Social Media

Der Datenstaubsauger von Economiesuisse? Wie der Wirtschaftsdachverband politische Profile sammelt.

Der Blog-Beitrag vom 11. Dezember wurde überarbeitet. Hinweise dazu im Anhang.

Seit der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten sorgt das Thema «Big Data und Algorithmen» für Schlagzeilen. Mit den Berichten «Cambridge Analytica», welche für politische Kampagnen Psycho-Profile erstellt, hat die Debatte auch die Schweiz erreicht.  

Neben dem Abstimmungs-Targeting mit Facebook-Ads dreht sich die Diskussion auch um «Facebook Connect». Facebook bietet einen sogenannten Single Sign On für Webseiten und Apps. Dies ist ein Verfahren, das Nutzern erlaubt, sich über den Facebook-Account bequem und einfach Zugang zu diversen Online-Diensten zu verschaffen. 

Neben bekannten Diensten wie Spotify nutzen auch vermehrt Campaigning-Tools wie Change.org oder ActionSprout, Facebook Connect. Aus Perspektive des Datenschutzes ist der Einsatz für politische Zwecke eine heikle Sache, wenn die gesammelten Informationen in Datenbanken aggregiert und etwa für Wählerprofile verwendet werden. Häufig ist es für die Nutzer schwer oder gar nicht nachzuvollziehen, welche Daten tatsächlich ausgelesen und für welche Zwecke diese genutzt werden.

Die Schweiz am Sonntag hat berichtet, dass Economiesuisse als erste in der Schweiz Facebook Connect strategisch für politische Kampagnen nutzt. Auslöser war ein Tweet von mir. Konkrete geht es um die europapolitische Plattform «stark vernetz», welche bereits bei verschiedenen Abstimmen eingesetzt wurde.

Die Plattform «stark vernetz»  ist breit abgestützt. Im Boot sind neben nationalen Wirtschaftsverbänden politische Parteien wie die FDP, CVP,  und GLP sowie mit Swiss, PWC, Novartis, Roche und KPMG auch grosse Firmen. Selbst Operation Libero wird als Partner aufgeführt.

Das Netzwerk umfasst, wie der Zähler auf der Website zeigt, bereits 6059 Personen. Wer mitmachen will, kann sich mit Email oder aber mit Facebook anmelden.

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Klicken die Nutzer auf der Plattform «stark vernetz» den Facebook-Button, erfolgt die Verknüpfung von Facebook und der Plattform , worüber Facebook stets das öffentliche Profil und die Freundesliste übermittelt, da diese Informationen als öffentlich eingestuft und nicht beschränkt werden können. 

Log in With Facebook.pngWer Facebook als Login wählt, über den werden – gemäss ausführlichen Datenschutz-Informationen – folgende Daten gespeichert:

  • Daten zur  Person: Wie zum Beispiel Name, Vorname, Adresse, Geburtsdatum.
  • Daten zur Aktivitäten: Wie zum Beispiel dein Beitrittsdatum, Angaben, wie du uns unterstützen möchtest,  welchen Freunden du welche Informationsnachrichten gesendet hast und wann dies der Fall war. 

Die Datenschutzbestimmungen sind nicht abschliessend und eher wage formuliert. Klar ist ist, dass Economiesuisse nicht nur personenbezogene Daten ausliest, sondern mit dem Freundeskreis auf Facebook soziale Beziehungen ausgewertet werden.

Die Integration von «Facebook Connect» ist besonders interessant, weil EconomieSuisse mit Kampagnen-Werkzeuge von Blue State Digital arbeitet. Bei den US-Präsidentschaftswahlen 2008 und 2012 wurden die Tools vom Obama-Team eingesetzt. 

Economiesuisse nutzt dieses Tool in Zusammenarbeit mit der Agentur Campaigning Bureau, um eine Datenbank mit politischen Profilen anzulegen, wie Simon Schärer, Projektleiter Kommunikation des Wirtschaftsverbandes Economiesuisse, Watson erklärte: «Mit diesen Angaben wissen wir, wer die Unterstützer unserer Kampagne sind. Wir können sie so einfacher in den Abstimmungskampf einbinden». 

Je mehr Abstimmungskampagnen über ein Tool wie Blue State Digital laufen, desto grösser wird die Anzahl Datensätze und die damit verknüpften Personenkreise. Diese Daten lassen sich effektiv für Targeting-Werbung nutzen, da die Plattform über Facebook-Connect den Zugang zu ihrem privaten Freundeskreis öffnet. 

Die Frage bleibt, ob sich die rund 6000 User bewusst sind, dass ihre Facebook-Daten genutzt werden, um für ein JA zur Unternehmenssteuerreform 3 zu werben. Obwohl auf der Verpackung der Plattform «Europapolitik» darauf steht, werden die gesammelten Informationen für diverse Kampagnen eingesetzt. Wissen auch die Partnerorganisationen wie beispielsweise Operation Libero davon?

Mit der Plattform «stark vernetzt» betreibt Economiesuisse einen politischen Daten-Staubsauger, der immer weitere Kreise erreicht eine eigene Community auf, um Kontaktdaten zu sammeln und im Netz nicht als grauhaariger CEO-Club aufzutreten, sondern als eine Bewegung von engagierten Menschen.



Update 14. Dezember 2016

Economiesuisse-Kommunikationschef Michael Wiesner hat bestätigt, dass im Hintergrund der Website «Stark vernetzt» Web-Tools von Blue State Digital (BSD) eingesetzt werden. In der Polit-Datenbank laufen auch allen anderen Kampagnen von Economiesuisse zusammen. Blue State Digital verfolgt das Ziel, Daten aus verschiedensten Quellen zu sammeln und aufzubereiten. Dazu gehört auch die Verknüpfung mit Social Media-Daten.

Weiterhin bleibt die Frage offen, welche Daten Economiesuisse in BSD-Datenbank speichert. Sind dabei auch Daten aus dem Facebook User-Profile? Wird die Option von BSD-Tools, Email-Adressen mit Social Media-Profilen zu verknüpfen, nie eingesetzt?

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Update 12. Dezember 2016

Im Interview mit dem Tagesanzeiger erklärt der Economiesuisse-Kommunikationschef Michael Wiesner, dass die Userdaten der Plattform «Stark vernetzt» nicht für andere Kampagnen verwendet und mit Facebook-Connect nur personenbezogene Informationen gespeichert würden. Social Media-Daten zu Freundschaftsbeziehungen hätte Economiesuisse nie verwendet. Davon ausgenommen seien E-Mails, die über die Website verschickt würden.

Auf Grund dieser Aussagen, die ich selbst nicht überprüfen kann, habe ich die Stellen im Blog-Beitrag gestrichen, die von Economiesuisse in Abrede gestellt werden. Dazu habe ich den ursprünglichen Titel mit einem Fragezeichen versehen.

Folgende vier Fragen bleiben für mich offen:

  1. Setzt Economiesuisse für die Website bzw. für die Kampagne «Stark vernetzt» Tools von Blue State Digital ein? Falls ja, werden darin auch Facebook-Daten wie das Public-Profile gespeichert? Update 13.12.17. Economiesuisse setzt BSD-Tools ein. Welche Daten gespeichert werden, ist (noch) nicht bekannt.
  2. Wurden Datensätze von «Stark vernetzt» nie eingesetzt, um Zielgruppen für Facebook-Kampagnen zu definieren?
  3. Weshalb wurden auf der Website «Stark vernetzt» alle Statements der User entfernt, die noch bis Samstagabend 10. Dezember 2016 abrufbar waren? Update 13.12.17. Entfernung sei nur ein Zufall, sagt Economiesuisse. Plattform werde gerade neu aufgesetzt.
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    Gelöschtes User-Statement (Screenshot 11.12.16, 18:35 Uhr, europapolitik.ch).
  4. Economiesuisse hat mit Tools von Blue State Digital Datenbanken für Abstimmungskämpfe aufgebaut, wie Watson im Vorfeld der Ecopop-Abstimmung berichtete. Enthalten diese Daten Informationen zu Social Media-Profilen von Usern?
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Campaigning, Netzwelt, Social Media

Big Data und Hundesteuer: Wie funktioniert Facebook-Targeting für Polit-Kampagnen?

99% der Menschen, die täglich Facebook nutzen, haben nie davon gehört. Die Rede ist von der Werbeplattform Facebook Business Manager, die auch in der Schweiz rege genutzt wird. Im Lärm um Cambridge-Analytics ging das Marketing-Tool für Insider bisher unter. Doch das etwas sperrige Tool hat das Polit-Campaigning im Netz revolutioniert, wie der Tagesanzeiger berichtet.

Nach dem Sieg bei der Atomausstiegsinitiative schrieb ein Economiesuisse-Camaigner auf Facebook: «Alle Battle­grounds gedreht. Jeden Schweizer Facebook-Nutzer 2½ Mal erreicht. 1,7 Millionen Video-Views innerhalb der letzten zwei Wochen.»

Der aktuelle Datensatz von Facebook Business Manager hat es in sich. Er umfasst alleine für die Schweiz rund 4 Millionen Personen über 18 Jahren. Für Werbetreibende und Kampagnenmacher ist das eine Goldgrube: Helvetica Analytics.

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Der Facebook Business-Manager bietet ein Blick in die Daten von 4 Millionen Schweizerinnen und Schweizer (Screenshot).

Facebook kennt mindestens 98 Fakten über jeden einzelnen User. Die Plattform ist eine Datenkrake und vergisst nichts. Jedes mal, wenn du eine Facebook-Seite besuchst, den Like-Button drückst oder einen Beitrag teilst, wird es gemessen und gespeichert. Ein Teil dieser Informationen lassen sich mit speziellen, oft ziemlich teueren Digitalwerkzeugen aufzeichnen und für Kampagnenzwecke nutzen. Den grössten Schatz, die Verknüpfung aller Datenpunkte, gibt’s aber nur exklusiv für die Facebook-Werbung.

Wie zuletzt bei der Atomausstieg-Initiative wird Facebook Business Manager heute für politische Kampagnen eingesetzt. Das Tool erlaubt «Dark Post» zu verschicken. Im Gegensatz zu Plakaten wird diese Werbung nur von bestimmten, vorher definierten Personen gesehen. So kann die Botschaft auf den Alltag ganz unterschiedlicher Zielgruppen angepasst werden, je nach Geschlecht, Alter, Wohnort, Beziehungsstatus, oder Hobbies.

Wie funktionieren Kampagnen mit Facebook-Targeting genau? Das möchte ich gerne an einem Beispiel zeigen. Die folgende Story ist fake, aber hart an der Realität: Die FDP hat im Kanton Zürich eine Initiative «Mehr Hund, weniger Staat» zur Abschaffung der Hundesteuer eingereicht. Sie kommt am 12. Februar 2017 zur Abstimmung. Höchste Zeit also, eine Facebook-Kampagne mit multiplen Zielgruppen zu planen.

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Wie funktioniert Facebook-Targeting? Eine Beispiel mit einer fiktiven FDP-Kampagne.

Im Business Manager sehen wir auf einen Blick, dass wir im Kanton Zürich auf Facebook bis zu 900’000 Personen erreichen. Statt auf die Masse zu zielen, versuchen wir zunächst gezielt Hunde-Freundinnen und -Freunde anzusprechen. Für Facebook ist das kein Problem. Unter Hobbys finden mit einem Klick 80’000 Hundefans, die im Kanton Zürich leben.

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Facebook weiss: 80’000 Menschen im Kanton Zürich mögen Hunde.

Die demographische Darstellung zeigt uns, dass 61% der Hundefans Frauen sind. Mit rund 20’000 Personen bilden das grösste Segment Frauen im Alter von 25 bis 34 Jahre. Die Hälfte wohnt in Zürich (41%) oder Winterthur (9%). Die Frauen sind – gemäss eigenen Angaben – in einer Beziehung (33%) oder verheiratet (42%). Wir erreichen über Facebook auch ihre Partner.

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Ganz privat: Informationen über den Beziehungsstatus der weiblichen Hundefans.

Aus diesen Daten könnte die FDP drei Zielgruppen für die Polit-Werbung ins Auge fassen und dafür unterschiedliche Facebook-Ads vorbereiten.

  1. Weibliche Hundefans im urbanen Kontext (mit Variante Zürich/Winterthur).
  2. Weibliche Hundefans in der Agglomeration.

Während wir das «Keyvisual» , eine glückliche, 30jährige Frau mit zwei Hunden, für alle Versionen einsetzen, sorgen unterschiedliche Hintergrundbilder für einen regionalen Wiedererkennungseffekt.

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Facebook-Werbung für weibliche Hundefans in Zürich.

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Facebook-Werbung für weibliche Hundefans in Winterthur.

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Facebook-Werbung für weibliche Hundefans, die in der Agglomeration wohnen.

Diese Differenzierung lässt sich stufenlos weiter denken, etwa für unterschiedliche Altersgruppen, Familien mit Kindern oder beliebte Hunderassen.

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Facebook-Werbung für weibliche Hundefans ab 60 Jahren.

Dank Spenden aus der Wirtschaft haben wir für die Facebook-Kampagne etwas Geld übrig. Darum experimentieren wir mit einer weiteren, interessanten Zielgruppe: jüngere Männern im Alter von 18 bis 28 Jahren. Facebook verspricht, 30’000 männliche Hundefans im Kanton Zürich zu erreichen. Als Zugabe gibt es einen wertvollen Tip: Unsere neue Zielgruppe mag die Website Swissmeme. Also testen wir ein paar Memes, die sich für die virale Verbreitung eignen. Hier ein Beispiel:

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Memes sind auch für Polit-Kampagnen beliebte Facebook-Ads.

Die FDP-Kampagne ist eine Spielerei. Sie zeigt jedoch exemplarisch das Potenzial von Facebook-Kampagnen auf, die auf multiple Zielgruppen setzen und die Möglichkeiten des Facebook Business Managers ausreizen.

Für Campaigning gibt es weitere, erfolgsversprechende Werbestrategien auf Facebook wie Custom Audiences. Dabei wird Facebook mit zusätzlichen Daten gefüttert, die sich direkt aus einem Newsletter-Tool wie MailChimp importieren lassen. Wo die Musik in Zukunft spielt, hat Thomas Hutter in einem lesenswerten Blog-Post zu den Wahlen in Österreich beschrieben.

Sicher ist: Der neue Kampfplatz für Polit-Kampagnen ist nicht mehr der Stammtisch, sondern das Smartphone. Statt Botschaften für die Massen zu kreieren, erlaubt Facebook individuelle Botschaften auszuliefern, die fadegrad ankommen. Spätestens ab Januar können wir ein Live-Beispiel mitverfolgen: Die grosse Schlacht um die Unternehmenssteuerreform 3.

PS: Hier die Liste mit 98 kombinierbaren Informationen, die Facebook über dich sammelt und für gezielte Werbung verwendet (Quelle: netzpolitik.org).

  1. Ort
  2. Alter
  3. Generation
  4. Geschlecht
  5. Sprache
  6. Bildungsniveau
  7. Ausbildungsbereich
  8. Schule
  9. ethnische Zugehörigkeit
  10. Einkommen und Eigenkapital
  11. Hausbesitz und -typ
  12. Hauswert
  13. Grundstücksgrösse
  14. Hausgrösse in Quadratmeter
  15. Jahr, in dem das Haus gebaut wurde
  16. Haushaltszusammensetzung
  17. Nutzer, die innerhalb von 30 Tagen ein Jubiläum haben
  18. Nutzer, die von der Familie oder Heimatstadt entfernt sind
  19. Nutzer die mit jemandem befreundet sind, der einen Jahrestag hat, frisch verheiratet oder verlobt ist, gerade umgezogen ist oder bald Geburtstag hat
  20. Nutzer in Fernbeziehungen
  21. Nutzer in neuen Beziehungen
  22. Nutzer mit neuen Jobs
  23. Nutzer, die frisch verlobt sind
  24. Nutzer, die frisch verheiratet sind
  25. Nutzer, die vor Kurzem umgezogen sind
  26. Nutzer, die bald Geburtstag haben
  27. Eltern
  28. Werdende Eltern
  29. Mütter in Typen unterteilt („Fussball, trendy“ etc.)
  30. Nutzer, die sich wahrscheinlich politisch betätigen
  31. Konservative und Liberale
  32. Beziehungsstatus
  33. Arbeitgeber
  34. Branche
  35. Berufsbezeichnung
  36. Art des Büros
  37. Interessen
  38. Nutzer, die ein Motorrad besitzen
  39. Nutzer, die planen, ein Auto zu kaufen (welche Art/Marke, und wann)
  40. Nutzer, die kürzlich Autoteile oder Zubehör gekauft haben
  41. Nutzer die wahrscheinlich Autoteile oder Service benötigen
  42. Art und Marke des Autos, dass man fährt
  43. Jahr, in dem das Auto gekauft wurde
  44. Alter des Autos
  45. Wieviel Geld der Nutzer vermutlich für sein nächstes Auto ausgeben wird
  46. Wo der Nutzer vermutlich sein nächstes Auto kaufen wird
  47. Wieviele Mitarbeiter die eigene Firma hat
  48. Nutzer, die kleine Unternehmen haben
  49. Nutzer, die Manager oder Führungskräfte sind
  50. Nutzer, die für wohltätige Zwecke gespendet haben (unterteilt nach Art)
  51. Betriebssystem
  52. Nutzer, die Browserspiele spielen
  53. Nutzer, die eine Spielekonsole besitzen
  54. Nutzer, die eine Facebook-Veranstaltung erstellt haben
  55. Nutzer, die Facebook-Payments benutzt haben
  56. Nutzer, die mehr als üblich per Facebook-Payments ausgegeben haben
  57. Nutzer, die Administrator einer Facebookseite sind
  58. Nutzer, die vor Kurzem ein Foto auf Facebook hochgeladen haben
  59. Internetbrowser
  60. Emailanbieter
  61. „Early Adopters“ und „late Adopters“ von Technologien
  62. Auswanderer (sortiert nach dem Ursprungsland)
  63. Nutzer, die einer Genossenschaftsbank, einer nationalen oder regionalen Bank angehören
  64. Nutzer, die Investoren sind (sortiert nach Typ der Investition)
  65. Anzahl der Kredite
  66. Nutzer, die aktiv eine Kreditkarte benutzen
  67. Typ der Kreditkarte
  68. Nutzer, die eine Lastschriftkarte haben
  69. Nutzer, die Guthaben auf der Kreditkarte haben
  70. Nutzer, die Radio hören
  71. Bevorzugte TV-Shows
  72. Nutzer, die ein mobiles Gerät benutzen (nach Marke aufgeteilt)
  73. Art der Internetverbindung
  74. Nutzer, die kürzlich ein Tablet oder Smartphone gekauft haben
  75. Nutzer, die das Internet mit einem Smartphone oder einem Tablet benutzen
  76. Nutzer, die Coupons benutzen
  77. Arten von Kleidung, die der Haushalt des Nutzers kauft
  78. Die Zeit im Jahr, in der der Haushalt des Nutzers am meisten einkauft
  79. Nutzer, die „sehr viel“ Bier, Wein oder Spirituosen kaufen
  80. Nutzer, die Lebensmittel einkaufen (und welche Art)
  81. Nutzer, die Kosmetikprodukte kaufen
  82. Nutzer, die Medikamente gegen Allergien und Schnupfen/Grippe, Schmerzmittel und andere nicht-verschreibungspflichtige Arzneimittel einkaufen
  83. Nutzer, die Geld für Haushaltsgegenstände ausgeben
  84. Nutzer, die Geld für Produkte für Kinder oder Haustiere ausgeben (und welche Art von Haustier)
  85. Nutzer, deren Haushalt mehr als üblich einkauft
  86. Nutzer, die dazu neigen online (oder offline) einzukaufen
  87. Arten von Restaurants, in denen der Nutzer isst
  88. Arten von Läden, in denen der Nutzer einkauft
  89. Nutzer, die „empfänglich“ für Angebote von Firmen sind, die Online-Autoversicherungen, Hochschulbildung oder Hypotheken, Prepaid-Debitkarten und Satellitenfernsehen anbieten
  90. Wie lange der Nutzer sein Haus bereits bewohnt
  91. Nutzer, die wahrscheinlich bald umziehen
  92. Nutzer, die sich für Olympische Spiele, Cricket oder Ramadan interessieren
  93. Nutzer, die häufig verreisen (geschäftlich oder privat)
  94. Nutzer, die zur Arbeit pendeln
  95. Welche Art von Urlaub der Nutzer bucht
  96. Nutzer, die kürzlich von einem Ausflug zurückkommen
  97. Nutzer, die kürzlich eine Reise-App benutzt haben
  98. Nutzer, die ein Ferienwohnrecht haben
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Campaigning

Top-Down-Mobilisierungen für Abstimmungen: Ein Auslaufmodell?

Kurz vor dem Abstimmungssonntag am 27. November habe ich meine Mailbox durchgeschaut. Hat mir jemand eine persönliche Email geschrieben, um für ein Ja für die Atomausstieg-Initiative zu werben? Das Resultat meiner Kurzrecherche: Nope, niemand hat sich gemeldet.

Dafür habe ich in den letzten Tagen mindestens ein Dutzend Newsletters erhalten mit Titel wie «Jetzt abstimmen!» oder «So schaffen wir den Ausstieg». Die Absender waren Parteien, Organisationen und einige PolitikerInnen, die mich mit einer personalisierten Anrede ansprachen, aber gleichzeitig die Email an Tausende andere schickten. Für mich ist das kommunikatives Dosenfutter, das mich selten anspricht.

Auf auf Facebook und Twitter fällt das Resultat gleich  aus: Ich habe viele Clips und Aufrufe gefunden, aber keine an mich persönlich gerichtete Message aus meinem Freundeskreis «Daniel, geht doch bitte abstimmen!».

Eine Ausnahme war Silvan, der im Büro vorbeikam und einen Anti-Atomsticker an meinen Monitor klebte. Die kleine Intervention war sehr wirksam. Der Kleber erinnerte mich jeden Tag daran, dass ich noch nicht per Brief abgestimmt habe.

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Monitor mit Sticker: Guerilla-Aktion von Silvan.

Was ich fürs Netz beschrieben habe, spiegelt meine Alltagserfahrungen der letzten Wochen. In privaten Gesprächen war die Atomausstieg-Initiatie kaum ein Thema. Und im Gegensatz zu DSI-Abstimmung hat mir gar niemand erklärt, wie wichtig es sei, auf jeden Fall an die Urne zu gehen.

Diese Bilanz ist für mich ziemlich irritierend, war doch die Atomausstiegs-Kampagne in den Medien extrem sichtbar und hat – was auffällt – die Gegnerschaft mit einem offensiven Agenda-Setting vor sich her getrieben. Die Ja-Kampagne hatte, in den grossen Städten wie Zürich, Basel und Bern, genug Budget, um mit Plakaten starke Präsenz zu markieren.

Warum hat die Mobilisierung beim emotionalen Dauerbrenner «Atomausstieg» nicht stärker gegriffen? Ein Grund ist sicher bei der Kampagnen-Konzeption zu suchen. Die Strategie setzte auf die drei Pfeiler Marketing (Plakate, Inserate), Medienarbeit und Top-Down-Mobilisierung via Mitgliederorganisationen.

Eine Ausnahme war die professionell aufgezogene Mitmach-Kampagne von Greenpeace im Kanton Zürich, die in der bildstarken Aktion vor dem Grossmünster gipfelte. Im Gegensatz zur nationalen Kampagne wurden deutlich mehr Mittel in Multiplikatoren investiert,  4’500 Telefongespräche geführt und mehr als 15’000 handgeschriebene Postkarten verschickt.

Positiv aufgefallen sind mir auch die gut gemachten Social Media-Inhalte. Sie kamen aber – zumindest in meiner Facebook-Timeline – meist aus der gleichen Ecke und zogen keine breiten Kreise (nur der Clip von Vincent Verzat war in der Romandie ein Blockbuster). 

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Fotoaktion von Greenpeace in Zürich.

Was in der Abstimmungsstrategie, so weit dies von Aussen erkennbar ist, also fehlte, ist der Fokus auf «Get out the vote» (GOTV). Diese Prinzip, entwickelt für US-amerikanische Wahlkampagnen, ist simpel: möglichst viele Menschen mittels Multiplikatoren an die Urnen zu bringen. Die Hauptarbeit der Kampagne liegt im Aufbau einer möglichst engagierten Freiwilligenbasis, die im Schlussspurt die 1-zu-1-Mobilisierung übernimmt.

Die Atomausstieg-Kampagne zeigt, dass in der Schweiz darauf vertraut wird, die Stimmberechtigten mit Plakaten, Inseraten und Streuwürfen sowie mit flankierender Medienarbeit für die Stimmabgabe zu gewinnen. Die indirekte Mobilisierung ist vermutlich nicht sehr effektiv, zeigt doch die Wahlforschung, dass insbesondere direkte Kontakte, aus dem sozialen Umfeld, darüber entscheiden, ob jemand abstimmt oder nicht.

Deshalb haben sich in anderen Ländern die GOTV-Mobilisierung etabliert, um im dem Direktkontakt an der Haustüre, am Telefon oder mit persönlichen Email die Wählerinnen und Wähler abzuholen. Auch die SP Schweiz setzt seit 2015 aufs Telefon, um vor Wahlen möglichst viele 1-zu-1-Gespräche zu führen.

Zweifellos fehlen vielen Kampagnen die Mittel und die Freiwilligen für Telefonkampagnen. Doch die nächste beste Option sind Email-Adressen. Die Ja-Kampagne für einen geordneten Atomausstieg hätte – über die beteiligten Partien und NGO – sicherlich Zugriff auf weit über 100’000 Email-Adressen gehabt.

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Die Ausgangslage ist vergleichbar mit dem Referendums-Abstimmung gegen die 2-Gotthardröhre, bei der ich für die Online-Kampagne zuständig war. In einer Zeitspanne von rund 2 Monaten konnten wir aus bestehenden Email-Kontakten rund 10’000 Aktivistinnen und Aktivisten rekrutieren (Opt-In), die sich aktiv an der Schlussmobilisierung beteiligt haben.

An diese Kampagnen-Community haben wir pro Woche 2-3 Emails verschickt. Wichtig zu bemerken ist, dass es sich um keine Newsletter handelte, sonder um Campaigning-Emails, also personalisierte Kommunikation auf Augenhöhe, die auf Dialog und Mobilisierung abzielten.

Die Rückmeldungen zeigten, dass die Message ankam. Auf jedes Email erhielten wir jeweils einige Hundert Antworten. Hier ein paar Beispiele dafür:

Die briefliche Abstimmung ist bereits erledigt und meine 20 Bekannten werden laufend mit Deinen Emails versorgt. Einige davon haben mir bestätigt, dass sie von anfänglichen BefürworterInnen zu GegnerInnen geworden sind! Gut, gell?

ich habe 105 mails verschickt!! Und meine Tochter hat morgen in der Schule (Gymi) eine Pro und Contra Runde zum Thema. Sie ist voll informiert und leidenschaftlich mit dabei!!!

Ich habe das Plansoll erfüllt und gegen 45 Bekannte und Freunde angesprochen.

Wie gross die Breitenwirkung dieser Community war, lässt sich nicht genau messen. Ein Anhaltspunkt war die Selbsteinschätzung der Aktivistinnen und Aktivisten, die in einer Umfrage angaben, durchschnittlich mindestens 12 Personen direkt ansprechen zu wollen. Nimmt man diese «Selbstdeklaration» als Anhaltspunkt hätten wir über Email rund 100’000 Menschen über private Kanäle für die Urne mobilisieren können.

Aus dieser Erfahrung denke ich, dass GOTV-Strategien in Zukunft für die Schweiz zum Standard werden. Gerade bei knappen Abstimmungen macht es Sinn, deutlich mehr Mittel in die Bottom-Up-Mobilisierungen zu investieren.

Disclaimier: Ich war an der Atomausstieg-Kampagne am Rande beteiligt mit der Plattform https://www.akw.fail, aber nicht in die Organisation eingebunden.
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